Villa Cerruti – ein vor der Öffentlichkeit verborgener Schatz

Ansicht der Villa Cerruti – ein vor der Öffentlichkeit verborgener Schatz
Der erste Blick auf die Villa Cerruti mit dem ehemaligen Eingang

Man sieht sie nicht auf den ersten Blick. Erst auf den zweiten. Vermutlich kommt man ohnehin nicht zufälligerweise an ihr vorbei: Der Villa Cerruti. Sie steht (mittlerweile) in einem Wohngebiet in Rivoli, unweit des Museums für zeitgenössische Kunst, Castello di Rivoli (mein Artikel dazu). Ein vor der Öffentlichkeit verborgener Schatz.

Ich steige aus dem kleinen Shuttlebus, der mich vom Castello di Rivoli zur Villa gebracht hat. Vor mir steht ein zweistöckiges, etwas verschachteltes Haus mit einem runden Turm. Er ragt nur unwesentlich über das Haus. Die Wände hell gestrichen. Der Sicherheitsmann begrüßt uns – die Führerin, mich und zwei weitere Besucherinnen. Er öffnet das gusseiserne Tor und führt uns um das Haus herum. Auf der Rückseite wurden Haus und Turm um Cortenstahlelemente ergänzt. Der ehemalige Wintergarten ist nun der Eingangsbereich. Wir schlüpfen mit unseren Schuhen in Einwegüberzieher. Taschen, Jacken, Smartphones, Kameras – alles muss ins Schließfach.

Ansicht der Villa Cerruti vom Garten aus
Außenansicht des Wintergarten und Eingang zur Villa Cerruti

Villa Cerruti der verborgene Schatz von Rivoli

Keine Fotos von der Innenausstattung. Das hat der ehemalige Besitzer Francesco Federico Cerruti (Genua, 1922 – Turin, 2015) verfügt. Cerruti wer? Ich kannte den Namen auch nicht. In eines seiner Produkte habe ich im Jahr 1990 allerdings öfter geschaut: das italienische Telefonbuch. Cerrutis Vater hat das Unternehmer LIT – Legatoria Industriale Torinese gegründet. Der Sohn baute es zu einem führenden italienischen Buchbindeunternehmen aus. Bis in die 1990er Jahre haben sie die italienischen Telefonbücher hergestellt.

1961 kaufte Cerruti ein Grundstück in Rivoli in der Nähe des verfallen Schlosses (Castello di Rivoli). Er begann mit dem Bau einer Villa im provenzalischen Stil. Gedacht als Alterssitz für seine Eltern. Die Eltern hatten allerdings wenig Interesse an dem Haus und waren nur sehr selten dort. Zur selben Zeit entstand bei Cerruti der Wunsch, Gemälde und Kunstobjekte zu sammeln. Sein erstes Werk: das kleine Aquarell „Ohne Titel“ (1918) von Vasilij Kandinskij. Es sollten noch viele weitere Kunstwerke folgen. Die Villa wurde ein Ort für seine Kunst, um das Wochenende zu verbringen und vereinzelt Feste zu feiern.

Cerruti lebte für die Arbeit und liebte die Kunst

Cerruti lebte zwei Leben: Während der Woche lebte er für die Arbeit und wohnte bescheiden in Turin. Am Wochenende kam er meist für einen Tag in die Villa und lebte für die Kunst. Er speiste dort allein, umgeben von seinen Kunstschätzen. Dennoch ist die Villa komplett eingerichtet: Esszimmer, Wohnzimmer, mehrere Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Wintergarten für seine Orchideen. Sogar ein Billardzimmer gibt es, obwohl er nicht Billiard spielte. In allen Räumen hängen Gemälde über- und nebeneinander, im Dialog mit Skulpturen, zwischen antiken Möbeln auf denen Porzellane, Pendeluhren und Silberwaren stehen. Wertvolle Bücher und ein Weinkeller komplettieren die Sammlung.

Geführte Tour durchs Haus

Im Wintergarten erfahren wir Biografisches. Danach beginnt die eigentliche Führung durchs Haus. Über eine schmale Treppe gelangen wir in die erste Etage. Das Treppengeländer ist hellgelb gestrichen mit eingelassenen beigen Feldern, umrandete von braunen Zierleisten. Die Akzentuierung der Felder wiederholt sich an den Wänden. Nur, dass hier die Zierleisten in Form von Blumengirlanden gestaltet sind und so den Rahmen für die Kunstwerke geben: „Antigrazioso“ (1912) von Umberto Boccioni, „Study for Portrait IX“ (1956/57) von Francis Bacon, „Mattino“ (1919-20) von Felice Casorati, um nur einige der Arbeiten zu nennen, die im Treppenhaus hängen.

Wir kommen in einen schmalen Flur, dem früheren Eingangsbereich. An der Seite steht ein filigranes Sofa aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Mit dunklem Leder bezogen, geschwungenen Rücken- und -Seitenlehnen steht es auf zarten Füßen. Gegenüber an der Wand hängen weitere Gemälde.

Im Treppenhaus werden Porträts gezeigt. Auch andere Zimmer sind monothematisch bestückt – mit Künstlern, zu einem bestimmten Thema oder Jahrhundert: Rosenzimmer, Zimmer der Mutter, Raum des 18. Jahrhunderts, Turmzimmer oder Speisesaal.

Mit Giorgio de Chirico speisen

Für einen bildlichen Eindruck der Ausstattung, beschreibe ich exemplarisch das Speisezimmer. Es ist ein kleiner rechteckiger Raum mit einer Wandtäfelung aus Spiegeln. Auf den Spiegeln hängen ringsum ausnahmslos Werke von Giorgio de Chirico (1888-1978). Der italienische Künstler gehörte zu Cerrutis liebsten Künstlern. Die Spiegel erheben nicht nur den Anspruch, den Raum zu vergrößern. Sie vervielfachen die Werke. Auf dem ovalen Tisch in der Mitte des Raumes stehen ein paar Gegenstände: Eine silberne Kaffeekanne, kleinere Schälchen, eine Porzellansuppenschüssel aus Meißen. Um den Tisch Stühle, über ihm ein großer Leuchter.

An den Wänden stehen größere und kleinere halbrunde Konsolentische. Vor allem die kleineren marmornen haben es mir angetan. Zwei durch Girlanden verbunden Widderköpfe unterhalb der Marmorplatte laufen aus in geschwungenen wiederum mit Girlanden geschmückten filigranen Beinen. Auf den Konsolen stehen Deckelvasen der Qing-Dynastie, Standuhren, goldene Leuchter, kleinere Schalen.

Zwischen den Konsoltischen stehen ein paar Stühle. Auf einigen liegen Bücher – thematisch passend zum Raum. Es wirkt, als hätte der Besitzer sie eben erst zugeklappt. Auch in anderen Räumen liegen Bücher auf Stühlen oder Beistelltischen – ganz so wie wir es heutzutage aus Wohnzeitschriften kennen.

Zweimal im Jahr – zum Namens- und Geburtstag – lud Cerruti Gäste ein. Zuvor hängte er allerdings die wertvollsten Gemälde ab. Es sollt nicht jeder und jede erfahren, welche Schätze er im Haus hat.

Ein besonderer Sammler

Cerruti verfolgte beim Sammeln keinem Muster. Er sammelte, was ihm gefiel. Er kaufte nie beim Künstler direkt, immer in Galerien, auf Auktionen, bei Antiquitätenhändlern. Er ließ sich nicht beraten, vertraute seinem Geschmack. Er hängte die Werke so, wie es ihm am besten gefiel. War das Kunstwerke in einem Rahmen, den er grässlich fand, bekam es einen anderen. Manchmal aus einer ganz anderen Stilrichtung. Es kam auch vor, dass er „rahmenlosen“ Werken einen Rahmen verpasste. So geschehen beim Werk „Concetto spaziale, Attesse“  (1965) von Lucio Fontana, dem er einen pompösen goldenen Rahmen verpasste. Undenkbar in einem Museum.

Ursprünglich aus Genua, zog die Familie, als er klein war, nach Turin. Er ist in Turin aufgewachsen und hat den Großteil seines Leben dort verbracht. Dennoch hatte er zu Genua zeitlebens eine starke Bindung. Erkennbar an dem provenzalischen Stil der äußeren Hülle. Im Inneren erkennbar, wie er Werke kombinierte: An der Wand zwei Werke von Giulio Paolini; davor das Modell „Filiberto di Savoia auf dem Pferd“ von Carlo Marocchetti. Das Monument des Modells befindet sich in Turin auf dem Piazza San Carlo.

Who is who der Kunstwelt

Ein paar Künstlernamen erwähnte ich bereits. In seiner Sammlung befinden sich Werke aus verschiedenen Epochen: Romantik, Barock, Moderne. Die Künstler: Rembrandt, Batoni, de Ribera, Gaddi, Miro, Kandinsky, Ernst, Picasso, de Chirico, Bacon, Giacometti, uvam. Er hat eine unglaubliche Vielfalt und außergewöhnliche Qualität zusammengetragen. Das Gemälde „Jeune fille aux roses“ (1897) von Pierre-August Renoir war sein letztes erworbenes Werk.

Im Turm sakrale Kunst

Ich nehme den Faden von oben auf und komme auf die „Themenzimmer“ zurück. Im Turm ließ er sich einen Raum einrichten, in dem er sterben wollte. Die Wände aus Holz getäfelt. In einer Nische das schmale Bett. Die Kunst sakral: Altäre, Gemälde und Skulpturen – sie zeigen die Geburt und Kreuzigung Christi, Maria mit Jesus oder Heiligendarstellungen.

Leider war es Cerruti nicht vergönnt, in diesem Zimmer zu sterben. Er starb am 15. Juli 2015 in einem Turiner Krankenhaus.

Vom Fegefeuer in den Himmel

Wie eingangs erwähnt, beginnt die Führung im ehemaligen Wintergarten. Die Führung ist so angelegt, dass sie im Turmzimmer endet, bevor Keller, Erdgeschoß, erste und zweite Etage besichtigt werden. Es ist, als käme man aus dem Fegefeuer und stiege in den Himmel. Während der Führung bleibt keine Zeit, sich mit einzelnen Werken intensiv auseinanderzusetzen. Was nachwirkt und mich tief beeindruckt hat, war die Fülle an Werken und Objekten, die ich gesehen habe. Ein Füllhorn an Kunstschätzen.

Garten

Das Haus ist umgeben von einem großen Garten, der nicht betreten werden darf. Auch er ist bestückt mit Skulpturen und einem Friedhof für seine Hunde, die er ebenso wie die Kunst als Familienmitglieder betrachtete.

Fondazione Cerruti

Noch zu Lebzeiten schuf Cerruti für seine Sammlung eine Stiftung. Diese wird vom Museum Castello di Rivoli – Museo d’Arte Contemporeana verwaltet. Über die Seite des Museums bin ich auch auf die Villa und die Sammlung gestoßen. Seit 2019 kann das Haus in kleinen Gruppenführungen samstags und sonntags in italienischer Sprache besucht werden. (Englisch auf Anfrage). Tickets und Infos bekommst du auf der Website des Museums.

Wenn du dich auf eine märchenhafte und spektakuläre Reise einlassen willst, dann besuch die Villa Cerruti in Rivoli – den (noch) vor der Öffentlichkeit verborgenen Schatz. Du kannst an der Führung auch teilnehmen, ohne Italienisch zu verstehen. Genieß einfach die Atmosphäre und die Kunstwerke.

In den Innenräumen ist, wie oben erwähnt, Fotografieren verboten. Deshalb habe ich beschlossen, auch keine Pressefotos der Villa Cerruti zu verwenden. Ich will und hoffe, dass du dir anhand meiner Beschreibung die Räume vorstellen kannst.

Solltest du dennoch Fotos sehen wollen, das Castello di Rivoli zeigt hin und wieder Fotos auf seinem Instagram-Account. Zum Beispiel das oben erwähnte Speisezimmer. Weitere Zimmer: rechteckiger Salon, Treppenhaus, Arbeitszimmer, runder Salon.

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Kommentare

  1. Martin meint

    Ein schöner und einladender Artikel zur Villa Cerruti. Ein verborgenes Kleinod bei Turin. Wer hätte gedacht, dass man sich vom Telefonbuchmachen ein solches Haus mit Kunst leisten kann.

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