Eine fotografische Rundreise durch Italien

Seppiafarbene Fotografie, die im Vordergrund zwei Gondolieri auf dem Canal Grande zeigt, im Hintergrund Markusbibliothek, Campanilie und Dogenpalast.
Carlo Naya, Venedig: Blick auf Markusbibliothek, Campanilie und Dogenpalast, um 1875

Zwei Gondolieri tauchen ihre Ruder ins glatte Wasser des Canal Grande, im Hintergrund sind der Dogenpalast, der Campanile, die Säulen San Marco und San Todaro sowie die Biblioteca Nazionale Marciana zu erkennen. Gondel und Architektur werfen Schatten auf den menschenleeren Canal Grande. Als wandfüllender Druck begrüßt mich dieses Motiv, als ich die Ausstellung der Graphischen Sammlung des Städel Museums betrete. Er basiert auf einem Foto von Carlo Naya (1816–1882).

Ein typisches Italienmotiv und doch reine Inszenierung. Was aussieht wie eine große Anstrengung der Gondolieri, ist in Wahrheit nur Schein. Mühselig müssen die Gondolieri die Ruder stillhalten, nur den Eindruck erwecken, als würden sie rudern. Bewegungen konnten damals nämlich noch nicht abgebildet werden. Das erklärt auch die glatte Wasseroberfläche. – Eine perfekte Komposition.

Eine fotografische Rundreise durch Italien

Um stereotype Darstellungen italienischer Sehnsuchtsorte dreht sich die aktuelle Ausstellung im Städel: rund 90 Fotografien, entstanden zwischen 1860 und 1880. Doch wie kam es dazu, dass im Städel Museum schon so früh Fotografien gesammelt wurden? Die Antwort liefert die Ausstellung gleich zu Beginn im ersten Teil. Der zweite Teil ist eine fotografische Rundreise von Mailand (!) über Venedig, Florenz und Rom bis Neapel und Sorrent.

Wie die ersten Fotografien ans Städel Museum kamen

Kleiner Exkurs: Prinz Albert, Gemahl der englischen Königin Victoria, war ein großer Fan des Malers Raffael und wollte dessen Arbeiten fotografieren lassen. Da ihm bekannt war, dass der damalige Städeldirektor Johann David Passavant (1787–1861) ein Raffael-Experte war, holte er dessen Rat ein. Als Dank schenkte er ihm 52 Fotografien von Raffael-Zeichnungen des britischen Fotografen Charles Thurston Thompson (1818-1886). Der Städeldirektor erkannte das Potential der Fotografie: Studienmaterial, um sich mit Proportionen, Lichtverhältnissen und Perspektiven auseinanderzusetzen, um architektonische Vergleiche aus der Ferne anstellen zu können. Eine Ergänzung der bürgerlichen Sammlung und gleichzeitig der Beginn der fotografischen Sammlung des Städel Museums.

Die Fotografie als kostbares Souvenir

Im 17. und 18. Jahrhundert war die Grand Tour ein Pflichtprogramm für die wohlhabende adlige und bürgerliche Oberschicht. Goethe veröffentlichte 1816 den Reisebericht seines Italienaufenthalts (September 1786 bis Mai 1788) und löste damit im deutschsprachigen Raum den ersten „Reiseboom“ aus. Ermöglicht wurde dieser „Boom“ auch durch die Erfindung und den Ausbau der Eisenbahn in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der britische Tourismuspionier und Begründer der Pauschalreisen, Thomas Cook (18081892), bot die ersten organisierten Reisen in den Süden an, und es gab die ersten Reiseführer, etwa von Baedecker.

Fotografien waren damals kostbare Souvenirs. Sie wurden in Reiseführer aufgenommen und gelten als Vorläufer der Bildpostkarten. Ein neuer künstlerischer Berufszweig entstand: der Fotograf. Viele Fotografen waren ursprünglich Maler, was man am Bildaufbau noch gut erkennen kann.

Giorgio Sommer (1834–1914), Eugène Constant (1820–1860), Robert Macpherson (1814–1872) sind nur einige der Fotografen, die sich in Italien niederließen, um Landschaften, Ausgrabungsstätten und Kulturdenkmäler zu fotografieren. Es entstanden eigene Fotografenstudios, in denen Fotos als Erinnerungsstücke gekauft werden konnten. Die stereotypen Fotos zeigen dieselben Denkmäler, Gebäude, Plätze, Straßenzüge oder Landschaften, die auch heute noch mit Italien assoziiert werden, nur dass heute fast immer eine Person im Bild zu sehen ist. Das Foto als Beweis dafür, dass man auch tatsächlich dort war. Im 19. Jahrhundert mussten Menschen für Fotos noch bewusst in Szene gesetzt werden, wie bei den eingangs erwähnten Gondolieri. Für Fotos der Spanischen Treppe in Rom konnten sogar Personen gebucht werden, die dann im gewünschten Gewand posierten.

Seppiafarbene Fotografie, die von einer Anhöhe auf der zwei Männer sitzen, den Blick auf Sorrent freigibt. Im Hintergrund eine hügelige Landschaft
Giorgio Sommer, Golf von Neapel: Blick auf Sorrent, um 1880–1890

Sehnsuchtsort Italien

Damals wie heute vermitteln Reisefotografien ein realitätsfernes Bild von Italien als zeitlosem Sehnsuchtsort und bilden nur bedingt die Wirklichkeit ab. War Italien im 19. Jahrhundert von der Einigungsbewegung geprägt, ist das Land heute vom Erstarken des Populismus geprägt. Die Fotografien der Seufzerbrücke oder des Schiefen Turms von Pisa trugen damals sehr zur Popularisierung der beiden Sehenswürdigkeiten bei, denn Gemälde gab es bis dato von beiden Attraktionen nicht.

Die Popularisierung der Ansichten der Seufzerbrücke oder des Schiefen Turm von Pisas sind ein Phänomen der damaligen Fotografie. Gemälde gab es bis dato von den beiden Sehenswürdigkeiten nicht. Auch heutzutage gehören sie zu den meistfotografierten architektonischen Werken Italiens, keine Brücke wurde im 19. Jahrhundert häufiger fotografiert als die Seufzerbrücke. Um dies zu illustrieren, gibt es in der Ausstellung einen Instagram Screen, der in Echtzeit die Postings mit Schlagwort #pontedeisospiri zeigt. Daneben hängen zum Vergleich sechs Fotos der Seufzerbrücke unterschiedlicher Fotografen aus den 1860er bis 1880er Jahren.

Auf einer grünen Wand sind in zwei Reihen Sechs schwarz gerahmte, schwarz-weiß Fotos der Seufzerbrücke zu sehen. Auf der linken Wand ist ein Instagram-Screen zu sehen.
Sechs Ansichten verschiedener Fotografen der Seufzerbrücke und Instagram-Screen; Foto: Ulrike Schmid

Die Leipziger Zeitung publizierte als Holzschnitt Fotos von Giorgio Sommer vom Ausbruch des Vesuvs 1872. Sie gelten heute als Vorläufer der Reportagefotografie.

Einmal vom nächsten Italienaufenthalt träumen

Besonders gefreut habe ich mich natürlich über Fotos mit Mailänder Ansichten. Da ist zum Beispiel eine Ansicht des Mailänder Salons, der Galleria Vittorio Emanuele II, fotografiert von Giorgio Sommer um 1868 bis 1873, also schon kurze Zeit nach deren Eröffnung 1867.

Auf grüner Wand ist ein schwarz-weiß Foto der Galleria Vittorio Emanuelle II in Mailand in dunkelbraunem Rahmen zu sehen. Daneben in weißer Schrift die Erläuterung
Giorgio Sommer: Ansicht der Galleria Vittorio Emanuelle II in Mailand; Foto: Ulrike Schmid
Eine fotografische Rundreise durch Italien. Ansicht der Ausstellung Italien vor Augen
Ausstellungsansicht; Foto: Städel Museum/Norbert Miguletz

Die Ausstellungsarchitektur spielt mit dem Gedanken der Rundreise. Mit etwas Phantasie lässt sich sogar eine „Piazza“ zum Verweilen erkennen. Fehlt nur noch der Aperol Spritz mit Häppchen. 🙂 Die Fotos lassen Erinnerungen und Reisewünsche wach werden. Eine sehr inspirierende Ausstellung, in der ich auch noch Einiges lernen konnte, vor allem zu den Hintergründen der Bildentstehung.

Noch bis zum 3. September hast du Gelegenheit, dich in der Graphischen Sammlung des Städel Museums auf eine fotografische Rundreise zu begeben. Manche Fotografien sind so fragil, dass sie nach einiger Zeit ausgetauscht und durch andere ersetzt werden müssen. Zweimal Hingehen lohnt sich also. 🙂

Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen, herausgegeben von der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Kristina Lemke, und mit einem Vorwort von Städeldirektor Dr. Philipp Demandt.

Na, habe ich dir Lust auf die Ausstellung gemacht, oder hast du sie schon gesehen? Über deine Meinung in den Kommentaren freue ich mich sehr.

 

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