[Update: 10. April 2024] Die italienische Presselandschaft und ihre (politische) Ausrichtung unterscheidet sich gewaltig von der deutschen. Das zeigt sich schon daran, dass im europäischen Vergleich in Italien nur wenige Menschen eine Tageszeitung lesen (S. 18 ff.). Ein großer Unterschied ist auch, dass viele der überregionalen italienischen Zeitungen staatliche Subventionen erhalten. Diese Regelung besteht seit 1981 und wird seither immer wieder verändert. Aktuell gibt es direkte und indirekte öffentliche Förderungen.
Subventionen sollen italienischen Medien ermöglichen, ihre Rolle als „Wachhund“ der Demokratie zu erfüllen. Doch ihre Unabhängigkeit wird von der Politik wie auch von Interessengruppen bedroht,
schreibt Journalist und Dokumentarfilmer Lorenzo Buzzoni auf republik.ch.
Ein großer Gegner dieser Förderung ist die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle). Sie fordert seit Jahren einen totalen Subventionsstopp. Zum „Dank“ für ihre Forderung kommt die 5-Sterne-Bewegung in den italienischen Zeitungen schlecht weg.
Inhaltsverzeichnis
Italienische Presselandschaft
Welche Zeitungen gibt es in Italien? Was solltest du über deren politische Ausrichtung wissen, wenn eine der Zeitungen in deutschen Medien zitiert wird oder du eine liest? Zunächst solltest du wissen, das die Zeitungslandschaft in Italien extrem parteipolitisch gesteuert ist.
Man muss genau wissen, aus welchen Verlagen sie kommen, welche politischen Interessen sich dahinter verbergen, wie diese Berichterstattung zustande kam, warum sie so aussieht,
so Petra Reski im Interview mit mir.
Dr. Martin Hambrückers bezeichnet in seiner Dissertation (Seite 27)
[…] die Verflechtungen von Wirtschaft, Medien, Politik und katholischer Kirche seit jeher als ein besonderes Merkmal der italienischen Elite.
Im Gegensatz zu den deutschen Verlagen, sind in Italien fast alle Zeitungsverlage aufgrund finanzieller Schwierigkeiten (und das schon lange vor Einsetzen des Pressesterbens um die Jahrtausendwende) in den Besitz industrieller Gruppen gekommen. Durch die Fusion der Verlage mit branchenfremden Unternehmen sind so mächtige Mischkonzerne entstanden, welche die italienische Presselandschaft dominieren. Einflussmöglichkeiten sind damit vorprogrammiert.
Ich habe mir einige der überregionalen Zeitungen angesehen. Einige von ihnen lese ich seit Jahren immer mal wieder oder verfolge ihre Aktivitäten in den Social Media. Ich habe die Eigenschreibweise der jeweiligen Tageszeitungen (giornali quotidiani) übernommen und sie nach Auflagenstärke absteigend aufgelistet. Die Auflage bezieht sich auf die verbreitete und digitale. Sie stammt mit einer Ausnahme (il Fatto Quotidiano von 2021) aus dem Jahr 2020 2022. (Quelle: ADS Accertamenti Diffusione Stampa – unserem IVW vergleichbar)
Mit einer Ausnahme (Il sole 24 ore) ist allen aufgelisteten Zeitungen gemein, dass sie in der Berichterstattung breit aufgestellt sind: Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft, Finanzen, Sport, Kultur.
Corriere della Sera
Corriere della Sera
Auflage: 260 357
Gegründet: 1876
Sitz: Mailand
Chefredaktion: Luciano Ferraro
Website: corriere.it
Der Corriere della Sera vertritt eine liberal-konservative Haltung. In der Vergangenheit scheute er sich auch nicht, des Öfteren Wahlempfehlungen auszusprechen. War es 2006 eine für Romano Prodi, wurde fünf Jahre davor noch ein Ministerpräsident Berlusconi goutiert. Der Corriere wird von der RCS MediaGroup herausgegeben, dessen CEO seit 2016 Urbano Cairo, ein ehemaliger Mitarbeiter von Silvio Berlusconi, ist.
la Repubblica
la Repubblica
Auflage: 136 321
Gegründet: 1976
Sitz: Rom
Chefredakteur: Giancarlo Mola
Website: repubblica.it
Die einstige eher linksorientierte Repubblica, die sich gegen das Bürgertum wandte, wurde 2019 ausgerechnet von DEM italienischen Establishment-Vertreter schlechthin – von der Agnelli-Familie – übernommen. Seither vertritt sie einen dezidiert neoliberalen Standpunkt. Früher war die Repubblica, v. a. die Freitags-Beilage „meine“ Zeitung, in jüngster Zeit nicht mehr.
Il Sole 24 ORE
Il Sole 24 Ore
Auflage: 135 795
Gegründet: 1965
Erscheinungsort: Mailand
Chefredakteur: Roberto Iotti
Website: ilsole24ore.com
Il Sole 24 ORE ist die populärste Wirtschafts- und Finanzzeitung und behandelt in erster Linie die Themen Wirtschaft, Politik, Nachrichten aus dem regulatorischen und steuerlichen Bereich, Finanzmarkttrends und Expertenkolumnen. Sie wird herausgegeben vom Verlag Gruppo 24 ORE, an dem der italienische Arbeitgeberverband (Confindustria) 60,2 Prozent Anteile hält.
Avvenire
Avvenire
Auflage: 100 802
Gegründet: 1968
Sitz: Mailand
Chefredaktion: k. A.
Website: avvenire.it
Avvenire ist eine christliche Zeitung, die aus dem Zusammenschluss der katholischen Zeitung L’Italia di Milano und L’Avvenire d’Italia d Bologna entstanden ist. Die Zeitung definiert sich selbst als Zeitung katholischer Inspiration. In ihrer Themenwahl ist sie allerding völlig autonom solange die Themen mit der katholischen Glaubenslehre übereinstimmen.
La Stampa
La Stampa
Auflage: 97 800
Gegründet: 1867
Sitz: Turin
Chefredakteure: Gianni Armand Pillon, Enrico Caporale und Guido Tiberga
Website: lastampa.it
La Stampa gilt ebenfalls als liberal-konservativ. Bis 2016 verfügte der Fiat-Konzern jahrzehntelang über 77 Prozent der Anteile an der Zeitung. Noch Fragen zur Ausrichtung? Mittlerweile wird sie vom Medienunternehmen GEDI Gruppo Editoriale herausgegeben, zu dem auch La Repubblica gehört. Einst führten La Stampa und la Repubblica erbitterte Kämpfe.
Il Messaggero
Il Messaggero
Auflage: 70 021
Gegründet: 1878
Sitz: Rom
Chefredakteur: Marco Gorra
Website: ilmessaggero.it
Il Messaggero ist auch eher in der Mitte anzusiedeln, also liberal-konservativ. Das Bauunternehmen Caltagirone hält 90 Prozent am gleichnamigen Verlagshaus Caltagirone Editore S. p. A.
il Fatto Quotidiano
il Fatto Quotidiano
Auflage: 50 515
Gegründet: 2009
Sitz: Rom
Chefredakteure: Fabio Amato und Diego Pretini
Website: ilfattoquotidiano.it
Astrid meint
Dein Beitrag ist so interessant, liebe Ulrike. Danke für den Einblick in die italienische Presse.
Ulrike meint
Gerne, liebe Astrid. Freut mich, wenn der Artikel gefällt.
meier meint
grazie del commento !
interessante e importante in tempi di oggi !
Gabi meint
Danke, sehr informativ und das Thema Presse ist ein wesentlicher Baustein, um die Gesellschaft eines Landes besser zu verstehen.
Toller Blog! Ich wertschätze die intensive Arbeit, die dahinter steckt…
Weiterhin viel Motivation und liebe Grüße
Ulrike meint
Liebe Gabi,
vielen Dank für Ihren wertschätzenden Kommentar. Ja, es steckt sehr viel Arbeit dahinter. Dss Schreiben ist auch für mich eine Bereicherung, weil ich ständig dazu lerne.
Viele Grüße
Ulrike
Annette meint
Danke für die Infos. Wenn die Italiener:innen die Printmedien lieber nicht lesen – wie informieren sie sich über das Tagesgeschehen? Die Fernsehlandschaft erscheint mir aus der Ferne betrachtet eher seltsam; was Radio angeht, habe ich keine Meinung. LG, Annette
Ulrike meint
Liebe Annette,
meiner Erfahrung nach informieren sie sich übers Fernsehen. Auch wenn dies, für unser Maßstäbe oft “bescheiden” ist – auch viele Sendungen der RAI, also dem öffentlich-rechtlichen Programm. Der Fernseher läuft gerne auch den ganzen Tag nebenbei.
Bei Radio gibt es eine nicht so starke Regionalisierung wie bei uns. Ich selbst höre, wenn dann, einen Mailänder Sender. 🙂 Kann also zum Radio auch nicht so viel sagen.