Interview mit der Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski

Porträt der Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski vor bläulichem Hintergrund.
Interview mit der Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski, Foto: Paul Schirnhofer

Das Buch „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ von Petra Reski, hat mich im vergangenen Jahr gefesselt (hier meine Besprechung). Es war unterhaltsam, hat mich inspiriert, aber auch wütend und nachdenklich gemacht. Seitdem bin ich mit Petra Reski über Social Media verbandelt und verfolge ihre Äußerungen über Venedig, Italien und den Journalismus im Allgemeinen mit großem Interesse.

Ich wollte mehr wissen und habe mich lange in einem Video-Telefonat mit der Journalistin und Schriftstellerin ausgetauscht. Herausgekommen ist ein Interview über Venedig, übers Bücher schreiben, den Journalismus und wie sich ihr Blick auf Deutschland verändert hat.

Interview mit der Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski

Blick auf den leeren Markusplatz. Am rechten Bildrand stehte eine mehrarmige Straßenlampe. Dahinter leuchtet rot-braun der quadratische Markusturm. Links davon, die gesamte Bildbreite einnehmend die helle Fassade eines Gebäudes am Markusplatz. Davor Tisch- und Stuhlreihen.
Frühmorgens am Markusplatz in Venedig

Venedig

Warum möchten Sie, trotz aller Missstände, in keiner anderen Stadt leben? Warum ist Venedig dennoch die schönste Stadt?

Venedig ist nichts Geringeres als ein Weltwunder, dessen Schönheit überwältigend ist. Ich kenne niemanden, der nicht dafür empfänglich wäre. Ich fühle mich Venedig verbunden, weil ich hier schon 30 Jahre lebe, aber es ist nicht so, dass ich ohne Venedig nicht leben könnte. Der wahre Grund, weshalb ich in Venedig lebe, ist der Venezianer an meiner Seite, den ich hier durch Zufall kennengelernt habe. Würde er mir vorschlagen, nach China zu ziehen, würde ich sofort die Koffer packen. Diese Wahrscheinlichkeit tendiert aber gegen Null: Er kann sich überhaupt nicht vorstellen, woanders als in Venedig zu leben. Er wird krank, wenn er aus dem Fenster schaut und kein Wasser sieht. Ich hingegen bin Tochter von Flüchtlingen, und als solche habe ich schon als Kind gelernt, dass es keine gute Idee ist, sich an Orte zu binden. Ich bin an Menschen gebunden und nicht an Orte.

Nach der Lektüre Ihres Buches ertrage ich „Werbung für Venedig“ bzw. die Lobpreisungen nur noch schwer. Wie geht es Ihnen mit diesen Lobgesängen?

Uns in Venedig geht es eigentlich genauso, weil diese überbordende Liebe nur an der Oberfläche bleibt. Nur wenige Menschen interessieren sich wirklich für Venedig. Und damit meine ich nicht die Geschichte, sondern auch die Gegenwart samt ihrer Probleme. Wir würden uns wünschen, dass diese überbordende Liebe für Venedig in ein überbordendes Interesse und in der Folge auch in eine überbordende Verantwortung übergehen würde. Das ist bisher leider nicht der Fall.

Allerdings ist das nicht die Schuld der Menschen, die Venedig lieben und besuchen, sondern viel mehr der Tatsache, dass nicht informiert wird. Es gibt wenige Bücher, die das reale Leben in Venedig schildern. Leider erreichen sie nicht das große Publikum. Sie eignen sich auch nicht unbedingt als Urlaubslektüre. Venedig wird so gut wie nie als Stadt, als Lebensraum wahrgenommen, immer nur als „destination“.

Das ist allerdings kein neues Phänomen. Seit Jahrhunderten zieht Venedig Besucher an und lebt von ihnen. Neu ist aber der Overtourism. Jeder verantwortungsvolle Besucher ist willkommen. Es gibt im Grunde nur drei No-Go‘s die beachtet werden sollten: keinen Tagesausflug nach Venedig machen – der Tagestourismus ist für Venedig absolut zerstörerisch – kein Airbnb mieten, keine Kreuzfahrt nach Venedig machen.

Man muss sich nicht schämen, in Venedig Tourist zu sein

Wie fänden Sie es, wenn ich als Touristin in ihrem Lieblingslokal oder in Gegenden, die noch den Venezianern gehören, sofern es diese noch gibt, auftauchen würde? Wären Sie genervt?

Man muss sich nicht schämen, in Venedig Tourist zu sein. Ganz im Gegenteil! Ich denke, wenn man sich verantwortungsvoll benimmt — und das machen wahre Venedigliebhaber auch — ist das überhaupt kein Problem. Was die vermeintlichen Lokale betrifft, in denen nur Venezianer verkehren: Die gibt es schon lange nicht mehr. Wenn ich mit meinem Mann in ein Restaurant gehe, hören wir oft schon kein Italienisch mehr, geschweige denn Venezianisch. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es in einer Stadt, die jährlich Millionen von Touristen heimsuchen, noch diese kleinen, typisch einheimischen Lokale gibt.

Inzwischen gibt es in Venedig mehr Bürgerinitiativen als Venezianer

Sie engagieren sich in einer Bürgerinitiative. Was ist deren Ziel?

Inzwischen gibt es in Venedig mehr Bürgerinitiativen als Venezianer. Ich engagiere mich in mehreren Bürgerinitiativen, es geht um ökologische Probleme, um die Zerstörung der Lagune, um den Ausverkauf der Kulturgüter oder um die Unabhängigkeit Venedigs, also die Tatsache, dass Venedig mit dem Festland zwangsverheiratet wurde und über keine eigene Stadtverwaltung verfügt.

Im Jahr 2020, als es um die Bürgermeisterwahl ging, habe ich mich als Kandidatin für den Stadtrat aufstellen lassen, weil ich mir nicht vorwerfen wollte, nicht versucht zu haben, diesen Bürgermeister zu verhindern. Wir haben es nicht geschafft, aber zumindest ist unser Spitzenkandidat in den Stadtrat eingezogen.

Holzbrücke über einen Kanal in Venedig. An deren Holzgeländer ist eine großes weißes Banner angebracht auf dem in schwarzen Lettern L'Arsenale alla città steht (zu deutsch. Das Arsenale für die Stadt im Sinne für die Venezianer*innen. Dahinter, links und rechts vom Kanal sind zwei quadratische Wehrtürme zu sehen.
Protest gegen die Enteignung von Teilen des Arsenale an die Biennale und an das italienische Militär durch die politisch Verantwortlichen der Stadt Venedig.

Wie sehr ist Ihr tägliches Leben beeinträchtigt? (Stichwort: wärmende Sohlen für die Schuhe)

In diesem Jahr werden wir wohl unter die magische Grenze von 50 000 Einwohnern fallen. Daraus entsteht, wie ich auch in meinem Buch geschrieben habe, ein wesentliches Problem: Die Infrastruktur Venedigs bricht weg: Was passiert mit dem Krankenhaus oder wie sieht es mit Ärzten aus? Es heißt, dass Ärzte nicht mehr in Venedig arbeiten wollen, weil sie keine Wohnungen finden. Das Krankenhaus wurde verkleinert, Krankenstationen wurden aufs Festland nach Mestre ausgelagert, wo ein sehr großes Krankenhaus gebaut wurde. Mit einem akuten Herzinfarkt wird man von Venedig aus dieses Krankenhaus allerdings nicht mehr lebend erreichen. Das ist unser größtes Problem! Schulen und Kindergärten schließen, weil es weniger Kinder gibt, Geschäfte des täglichen Bedarfs verschwinden und werden durch Supermärkte ersetzt, welche die Bedürfnisse der Airbnb-Klientel befriedigen, die nicht daran gewöhnt sind, so wie wir in Einzelhandelsläden einzukaufen.

Es gibt in Venedig auch eine Universität. Was machen die Studierenden? Leben Sie auf dem Festland und kommen täglich nach Venedig?

Für die Studenten stellt sich das gleiche Problem: Sie finden hier keine Wohnungen. Fast alle wohnen auf dem Festland und haben eine lange Anreise. Viele von ihnen würden sich gerne langfristig ein Leben in Venedig aufbauen. Aber das ist nicht möglich, weil es an Wohnungen und Arbeitsplätzen jenseits des Tourismus mangelt. Verschwendetes Potential! Leider verbirgt sich dahinter eine politische Strategie, die wir hier seit mehr als 30 Jahren beobachten: Die letzten Venezianer sollen beseitigt werden, sie sind nur noch ein störendes Element für die Bewirtschaftung von Venedig als Freizeitpark.

Diese Stille war von einer unfassbaren Schönheit

Wie haben Sie Venedig während des Lockdowns erlebt? Wohltuend?

Es war fast eine erschreckende Schönheit. Denn solange hier noch Touristen durch die Gegend liefen, konnten wir uns zumindest einbilden, dass es noch eine Spur von Leben gibt. Wenn die Touristen ausbleiben, werden die Auswirkungen der touristischen Monokultur auf beängstigende Weise sichtbar. Gleichzeitig war aber auch diese Stille von einer so unfassbaren Schönheit, wie ich sie noch nicht erlebt habe. Ich habe die Kanäle ganz anders wahrgenommen, die Wasserspiegelungen waren so unglaublich schön. Venedig zeigte sich auf eine unverwechselbare Weise. Es war ein Privileg, das wir Venezianer auch genossen haben.

Wie anderswo auf der Welt auch haben wir in Venedig geglaubt, dass nach Corona das große Umdenken einsetzen würde. Wir Venezianer haben etliche Projekte und Ideen vorgestellt, was man aus der Pandemie lernen kann, welche Alternativen es gibt, um der touristischen Monokultur etwas entgegenzusetzen. Nichts davon wurde umgesetzt, unsere Vorschläge wurden komplett ignoriert. Das war ein klares Zeichen der Politik und Regionalregierung: Ein Umdenken ist nicht erwünscht.

Wie kann ich mich als Deutsche einbringen? Was tun, um Venedig von der touristischen Monokultur zu retten? Mit dem Interview schaffe ich Öffentlichkeit …

Ja, das ist schon mal eine große Sache, dass überhaupt für Öffentlichkeit gesorgt wird.

Wichtig ist auch zu verstehen, dass Venedigs Probleme im Grunde die Probleme der Welt sind: ökologische Probleme, Klimaveränderung, Anstieg des Meeresspiegels, Overtourism usw. Venedig ist, wie meine Freundin Jane Da Mosto das mal ausdrückte: „der Kanarienvogel im Bergwerk“. Was wir hier diskutieren, betrifft uns alle, und deswegen hat Venedig eine Vorreiterrolle. Der Overtourism betrifft in Italien nicht nur Venedig, sondern auch Städte wie Florenz und Rom. Uns trifft er allerdings extrem, aufgrund Venedigs spezieller Lage und Struktur.

Nach der Veröffentlichung des Buches bekam ich viele Zuschriften, in denen ich immer gefragt wurde, „Was können wir tun, um zu helfen?“. Ich hoffe, mit meinem Buch ein Bewusstsein auch außerhalb Venedigs zu schaffen. Nicht einmal die Italiener wissen, dass Venedig vom Festland regiert wird, und dass wir über unser Schicksal keine Entscheidungsgewalt haben. Wenn dieses Bewusstsein vergrößert würde, wäre ich schon sehr froh.

Im Zentrum des Bildes ist die Vorderseite des Buches "Als ich einmal in den Canal Grande fiel" von Petra Reski zu sehen. Links davon steht auf einem Glastischchen eine Tasse Espresso. Im Hintergrund ist ein Bücherregal zu sehen.
Buchtipp von Ulrike Schmid: Als ich einmal in den Canal Grande fiel

Schriftstellerei

Ihr Buch erscheint im Mai auch auf Italienisch. Warum war es schwierig einen Verlag in Italien für das Buch zu finden?

Es ist ein Buch, das die politisch Verantwortlichen für diese Entwicklung namentlich aufzeigt. Damit macht man sich in der italienischen Verlagslandschaft, die auch immer die Nähe zur Politik sucht, nicht unbedingt beliebt. Ich musste einen Verlag finden, der dezidiert keine parteipolitische Bindung hat. Da bleiben nur die kleinen, unabhängigen Verlage. Insofern bin ich froh, mit Zolfo Editore einen Verlag gefunden zu haben, der auf die politischen Befindlichkeiten keine Rücksicht nimmt.

Alle meine Bücher haben autobiografische Züge

Venedig – Mafia – Ostpreußen. Was inspiriert Sie zu Ihren Büchern?

Im Prinzip haben alle meine Bücher autobiographische Züge. Auch meine Sachbücher zur Mafia entstammen meiner persönlichen Erfahrung mit der Mafia. Die Beschäftigung mit diesem Thema hat mir viele Einblicke ermöglicht — nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland. Mir war es immer wichtig, mich mit einer persönlichen Sicht und erzählerischen Haltung meinen Themen zu nähern, um den Leser an meinen Beobachtungen und Einsichten teilhaben zu lassen.

Als 2007 das Attentat in Duisburg passiert ist, fiel Deutschland wieder einmal aus allen Wolken: „Huch, wir haben die Mafia!“. Aber die Mafia ist seit 50 Jahren heimisch in Deutschland, dafür wollte ich den Blick der Deutschen schärfen. Solange wir mit deutschen Gesetzen dafür sorgen, dass Mafiosi hier problemlos ihr Geld waschen und anlegen können, ist die Mafia in Deutschland gern gesehen. Also sollten wir nicht herablassend nach Italien blicken, nach dem Motto: „Ihr kriegt das Problem mit der Mafia nicht geregelt“, sondern im Gegenteil darauf drängen, dass Europa im Kampf gegen die Mafia zusammenarbeitet. Das versuche ich mit meinen Büchern klarzumachen. Ich wollte Solidarität für Italien schaffen und darauf aufmerksam machen, dass die Mafia nicht am Brenner halt macht.

Fast bildfühlend ist eine Fassade am Markusplatz in Venedig, unterbrochen von ganz vielen Säulen, zu sehen.

Journalismus

War es für Sie schwierig, privat und beruflich in Venedig Fuß zu fassen?

Da ich immer für deutsche Medien geschrieben habe, hatte ich niemals den typischen, italienischen Arbeitsalltag. Venedig ist eine kosmopolitische Stadt, es fiel mir leicht, mir meinen Freundeskreis zu schaffen.

Eine größere Umstellung war es für mich, auf einer Insel zu leben. Eine Insel, auf der sich auch damals schon sehr viele Touristen drängelten. Das war für mich eine Erfahrung, die ich bis dato noch nie erlebt hatte. Außerdem hatte ich ein Sprachproblem: Als ich 1991 nach Venedig zog, sprach man in Venedig noch sehr viel Venezianisch, ich aber konnte nur Italienisch. Heute vermisse ich das Venezianische, weil es auch ein Zeichen für eine noch lebendige Kultur war, die heute so gut wie verschwunden ist.

Herr Forchheimer — früher Leiter des ARD-Studios in Rom — sagte mir, dass ARD-Korrespondenten spätestens nach fünf Jahren abgelöst werden, um nicht zu sehr aus italienischer Sicht zu berichten. Sie haben einmal in einem Gespräch dagegen argumentiert. Weshalb finden Sie dieses Vorgehen falsch?

Das ist ein, wie ich finde, überholtes journalistisches Credo, das gar nicht ARD-spezifisch ist. So ähnlich hat auch der Auslandschef der New York Times argumentiert, den wir während meiner Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule besuchen durften. Meine Erfahrung in Italien ist allerdings eine andere. Erst nach fünf Jahren in Italien habe ich angefangen, das Land zu verstehen. Dass ich vorher kaum Ahnung von Italien hatte, ist aber nicht groß aufgefallen, da die Redaktionen vor allem an Gemeinplätze gewöhnt sind und oft mit einer gewissen Renitenz reagieren, wenn man Vorschläge macht, die von diesen Gemeinplätzen abweichen.

Regelmäßig ausgewechselt zu werden, um nicht Gefahr zu laufen, sich mit dem Land gemein zu machen, über das man berichtet: Ich sehe darin eher eine erschreckende Sicht auf den Journalismus. Als würde man als Erfüllungsgehilfe größerer Interessen angesehen. So sehe ich mich als Journalistin definitiv nicht. Die besten deutschen Korrespondenten, die ich kenne, sind diejenigen, die lange im Land leben. Sie schreiben viel profunder über Italien
Ich finde die Idee, man müsse immer aus der Perspektive des eigenen Landes argumentieren, absurd. Natürlich versuche ich, den Kenntnisstand deutscher Leser zu berücksichtigen und ihnen gegebenenfalls mehr Erklärungen zu geben.

Aber wir Journalisten sind kein diplomatisches Korps, wir vertreten nicht unser Land, wir vertreten den Journalismus. Und der Wahrheitssuche im Namen des Journalismus ist es absolut egal, ob die Italiener oder die Deutschen Recht haben. Nähert man sich einem Thema, muss man die Fakten schildern, ganz egal, ob sie eher den Deutschen oder den Italienern in den Kram passen.

Die italienische Presselandschaft ist extrem parteipolitisch gesteuert

Sie haben in einem Gespräch deutsche Journalisten als zu unkritisch hinsichtlich Italien bezeichnet. Sie würden nur unreflektiert von italienischen Medien abschreiben. Würden Sie diese Aussage für meine Leserschaft noch mal einordnen?

Nein, ich habe sie nicht als zu unkritisch gegenüber Italien bezeichnet, sondern kritisiert, dass häufig als profunde politische Analyse verkauft wird, wohinter sich nichts anderes als copy & paste aus einem Schwung italienischer Zeitungen verbirgt. Es wäre in Ordnung, italienische Zeitungen zu zitieren, wenn sie denn als Quellen genannt würden. Etwa zu präzisieren „das schreibt die Repubblica, sie gehört dem Agnelli-Clan und vertritt einen dezidiert neoliberalen Standpunkt“.

Das ist es, was ich beklage. In Deutschland ist doch völlig unbekannt, wie die italienische Presselandschaft aussieht. Sie ist, bis auf wenige Ausnahmen, parteipolitischen Interessen unterworfen. Wenn man sich zwei verschiedene Zeitungen kauft, muss man bei der Lektüre genau berücksichtigen, welche Verlage dahinterstehen, welche politischen Interessen sich dahinter verbergen, wie diese Berichterstattung zustande kam.

Wie generieren Sie Themen für deutsche Medien? Recherchieren Sie auf eigene Faust und bieten Themen an, oder werden Sie konkret beauftragt?

Beides. Ich befinde mich praktisch ständig im Recherchier-Modus. Ich erhalte Aufträge, weil Redakteure wissen, dass ich mich mit bestimmten Themen beschäftigt habe und schlage auch Themen vor. Glücklicherweise schreibe ich nicht nur über Italien, ich habe viele Reportagen in der ganzen Welt gemacht. Das ist eine große Bereicherung, immer wieder den Blick zu schärfen und nicht nur allein auf Deutschland und Italien zu schauen.

Sie haben auch immer beide Länder im Blick, oder?

Ja, ja. Ich lese viele deutsche Zeitungen und bin regelmäßig in Deutschland, auch um zu wissen, was dort abgeht. Um angemessen über Italien zu berichten, muss ich auch wissen, was in deutschen Köpfen vorgeht.

Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski sitzt auf einer hellen sehr breiten Treppe. Im Treppenabsatz links von ihr sit die Aufschrift Francesca Morvillo eingraviert, rechts von ihr der Name Paolo Borsellino.
Petra Reski, Foto: Paul Schirnhofer

Blick auf Deutschland

Hat sich Ihr Blick auf Deutschland verändert, nachdem Sie nun schon so lange in Italien leben?

Mein Blick auf Deutschland hat sich vor allem geändert, seitdem ich mich mit der Mafia in Deutschland beschäftigt und in Deutschland vor Gericht gestanden habe. Ich bin sehr dankbar für diese brüske Ankunft in der Wirklichkeit und habe sehr viel daraus gelernt.

Würden Sie das noch spezifizieren?

Verklagt zu werden, ist die eine Sache, die man als Journalist noch sportlich sehen kann. Aber die Tatsache, dass alle Journalisten, die jemals in Deutschland vor Gericht gestanden haben wegen eines Artikels oder Films über die Mafia in Deutschland, ihren Prozess verloren haben, gibt mir viel zu denken. Die Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung — ohne ins Detail gehen zu wollen — macht eine Mafiaberichterstattung in Deutschland unmöglich. Ich fand es auch seltsam, dass ich im Gerichtssaal bedroht wurde, ohne dass jemand eingegriffen hätte, und dass man es für einen Witz hielt, als der Kläger unserem Anwalt sagte: „Sagen Sie ihr, dass Sie das nächste Mal mit sechs Polizisten kommen soll, statt mit einem“. Zumal es so war, dass die Richterin bei dieser Verhandlung Polizeischutz für sich angeordnet hatte, nicht für mich.

Die Gerichtsverfahren haben sich über Jahre hingezogen, in dieser Zeit habe ich die große Solidarität in Italien geschätzt, ohne die ich mich in Deutschland sehr, sehr einsam gefühlt hätte. Wenn du in Italien als Journalist verklagt wirst, sagt man: Du hast definitiv etwas richtig gemacht. Wenn du in Deutschland verklagt wirst, ist das ein Makel und man sagt: Dann wird sie irgendwas falsch gemacht haben.

Glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren da etwas geändert. Als ich die Auseinandersetzung mit Augstein hatte, erfuhr ich dank meines Crowdfundings zum ersten Mal eine große Solidarität. Da hat ein Umdenken eingesetzt, und ich hoffe, dass es weiter anhält.

Wenn Sie das Beste aus beiden „Welten“ zusammenbringen sollten — was würden Sie aus Italien, was aus Deutschland einbringen?

Ich liebe die Kreativität der Italiener im Umgang mit dem Leben. Da sind wir Deutschen nicht ganz so flexibel, was ich auch an mir bemerke. Wie ich in meinem Buch beschrieben habe, finden es Italiener oft übertrieben, wenn jemand sagt: Es geht mir ums Prinzip. Aber es kann doch nicht sein, dass für jede Regel ständig eine Ausnahme gemacht wird. Man kann es Prinzipienreiterei nennen, man kann aber auch sagen: Regeltreue. Die natürlich auch ins Negative kippen kann. Die Mischung wäre die Perfektion: Die Regeltreue der Deutschen gepaart mit der Phantasie, Menschenliebe und Nachsicht der Italiener.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit, liebe Petra Reski!

 

In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen erscheint sonntags der Newsletter „Reskis Republik“ mit Themen, die Petra Reski umtreiben: Venedig, die Mafia, Italien, ihre Bücher. Absolut lesenswert.

 

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Drehort Sardinien: Gespräch mit der Kostümbildnerin Carola Raum.
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Kommentare

  1. Bernd Gasser meint

    Ich organisiere seit sieben Jahren Koch Praktiker für Berliner Koch Azubis. Zum Programm gehört auch immer Kulturveranstaltungen und Besuche von Zeugen. Ich zeige den Azubis dann immer auch den Film Venedig Prinzip, der bei den jungen Menschen immer sehr bewegt aufgenommen wird, da sie ja oft nur das touristische Bild und Werbung für Venedig kennen. Ich habe den Koch Azubis jetzt ihren sehr liebenswerten Artikel empfohlen.
    Cordalis Saluti Bernd Gasser.

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