Die Schönheit der Kunst für eine bessere Welt

Die Schönheit der Kunst für eine bessere Welt
Arbeiten von Raffaele Cioffi

[versione italiana]

Die Kunst- und Kulturbranche trifft es in der Corona-Zeit besonders hart. Keine Filmproduktionen, keine Konzerte, keine Theaterstücke und keine Museumsbesuche. Während Musiker*innen, aber auch Museen, Wege und Möglichkeiten gefunden haben, sich in den sozialen Medien und über die Website zu präsentieren und so mit ihrem Publikum in Kontakt bleiben, ist das für bildende Künstler*innen wesentlich schwieriger.

Der Einfluss der Krise auf Kunst und Künstler

Um meiner Blogausrichtung treu zu bleiben, habe ich mit fünf italienischen Künstlerinnen und Künstlern gesprochen. Alle fünf leben und arbeiten in Mailand bzw. der Metropolregion Mailand, und alle fünf stellen ihre Arbeiten in Deutschland in der Frankfurter Westend Galerie aus. Die Leiterin der Galerie, Barbara Thurau, hat mir die Kontakte vermittelt. Danke dafür Barbara! Aktuell sind dort Werke von Leonardo Gambini zu sehen – mittlerweile auch wieder für die Öffentlichkeit. Aufgrund des Ausreiseverbots konnte der Künstler allerdings nicht zur Eröffnung im März kommen.

Wie bleibt man nun als bildende Künstlerin, als bildender Künstler in Kontakt mit seinem Publikum? Man „muss“ ja schließlich auch verkaufen, um (über)leben zu können. Insbesondere dann, wenn man ausschließlich von der Kunst lebt, wie – bis auf eine Ausnahme – alle meine Interviewpartner*innen. Der italienische Staat hat eine Unterstützung für Künstler*innen ins Leben gerufen. Sie können monatlich einen Bonus in Höhe von 600 Euro beantragen. Nicht viel, aber immerhin etwas. Ist es in dieser Zeit überhaupt möglich, kreativ tätig zu sein? Wenn ja, thematisieren die Künstler*innen Corona in ihren Arbeiten? Wie erleben sie die Zeit, und wie sehen sie die Zeit danach? Diese und andere Fragen habe ich den italienischen Künstler*innen gestellt. Mit dem nötigen Sicherheitsabstand – schriftlich. 😉

»Die Leute wenden sich verstärkt der Kunst zu«

Leonardo Gambini vor einem seiner Werke
Leonardo Gambini vor einem seiner Werke

Jede und jeder geht mit der Situation anders um – die sozialen Medien nutzen sie allerdings alle. Sei es, um sich zu informieren, sei es um sich mit Freund*innen und der Familie auszutauschen oder um Arbeiten zu präsentieren. Leonardo Gambini versteigerte sogar online eines seiner Werke, um den Erlös dem guten Zweck zuzuführen. „Das Interesse war riesengroß und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden“, freut er sich. Gambini entschied sich vor einigen Wochen auch dazu, live eine Arbeit zu erstellen, um seinen Fans zu zeigen, wie er arbeitet und um mit ihnen in Verbindung zu bleiben. Er ist froh, dass „sich in diesen schrecklichen Zeiten die Leute verstärkt der Kunst zuwenden und man durch diesen Virus interessante und ergreifende Inhalte kreieren kann.“

Am meisten vermisst er seine Familie, Eltern und Freunde. Er ist sich sicher, dass die aktuelle Situation Veränderungen in den Beziehungen der Menschen zur Folge haben wird. Wie niemals zuvor fühlt er sich als Teil einer Gemeinschaft, die bereit ist, einander zu helfen und zusammenzurücken. „An diese Zeiten müssen wir immer zurückdenken, um den Dingen das richtige Gewicht zu geben.“ Und trotz allem ist diese Notzeit für ihn auch eine sehr inspirierende Zeit. „Die Möglichkeit, innezuhalten und Zeit für sich selbst zu haben, ermöglicht es einem, besser zuzuhören und mehr zu forschen. Dies führt zu neuen Ideen und künstlerischen Projekten.“

»Die Rolle der Kunst ist eine soziale Rolle«

Ester Negretti

wurde 1978 in Como geboren, wo sie bis heute lebt und arbeitet. Sie hat unter anderem an der Accademia di Brera in Mailand studiert. Neben der Malerei und Skulptur befasst sie sich auch mit Mode & Design. Ihre Arbeiten sind sowohl in Italien als auch im Ausland zu sehen. Im Rahmen der Ausstellung „Michelangelo Heute“, hat sie 2014 Arbeiten in der Frankfurter Westend Galerie präsentiert.

www.esternegretti.com 

Ganz anders sieht das Ester Negretti. Für sie ist es unvorstellbar, in diesen Zeiten auch nur irgendetwas „aufs Papier“ zu bringen, geschweige denn Covid-19 in ihren Arbeiten zu thematisieren. „Wenn ich versuche zu arbeiten, heule ich die ganze Zeit. Mir ist es unmöglich. Es ist unmenschlich, ständig den Blicken anderer ausweichen zu müssen, die ständige Angst sich zu nahe zu kommen, um nur ja niemand anzustecken. Vielleicht bin ich einfach zu sensibel. Glücklicherweise habe ich meine Kleine, die all meine Zeit beansprucht und mit der ich den ganzen Tag spiele. Was am meisten fehlt? Der Alltag, die lieb gewordenen Gewohnheiten.“ Für Negretti ist die aktuelle Lage eine Tragödie. „Man kann nicht glauben, dass sie weit von uns entfernt ist, dass sie uns nicht betrifft. Man kann sein Leben nicht einfach weiterführen wie immer. Diese Tragödie kann jeden treffen, sogar mich. Die ständige Vorstellung, dass dies der letzte Tag meines Lebens sein kann oder der eines Freundes oder meines Mannes oder meiner Eltern … Man kann mit dieser Angst nicht leben.“

Die Schönheit der Kunst für eine bessere Welt
Künstlerin Ester Negretti

Ester Negretti hat ihr Atelier geschlossen und verbringt die Zeit mit ihrer sieben Monate alten Tochter. Die Kleine strukturiert ihren Tag. Wenn sie schläft, informiert sich Negretti im Netz über die aktuelle Situation, tauscht sich mit Familie und Freunden aus, teilt bei Facebook interessante Inhalte. Nachts wacht sie häufig auf, und es fällt ihr schwer wieder einzuschlafen, denn die Gedanken kreisen sofort um das, was gerade in der Welt passiert. „Ich versuche über diesen dunklen Schatten, der meinen Verstand vernebelt, nicht nachzudenken. Ich glaube sogar, dass der Kunst eine soziale Rolle zukommt, nämlich, die Menschen mit Schönheit anzustecken.“

»Ich finde mich jetzt in meinen Bildern wieder«

Giovanni Cerri in seinem Mailänder Studio
Giovanni Cerri in seinem Mailänder Studio

Obwohl es von seiner Wohnung nicht weit entfernt liegt, kann Giovanni Cerri aufgrund der Ausgangssperre aktuell nicht in sein Atelier – seit über einem Monat mittlerweile. Er hat sich noch rechtzeitig Material mit nach Hause genommen, um wenigstens ein wenig arbeiten zu können. Bereits in der Anfangszeit der Krise hat er ein großes Werk realisiert, das die damals aktuelle Lage thematisiert. Da es in Italien nur lebensnotwendige Dinge zu kaufen gibt, wird es zunehmend schwieriger, Arbeitsmaterial wie Stifte, Kreiden etc. zu bekommen.

Cerri macht das Beste daraus und verwendet, was er hat – das kann dann auch mal bereits gebrauchtes Papier sein. „Meine Arbeit stand immer schon im Einklang mit leeren Landschaften, ohne Menschen. In gewissem Sinne finde ich mich jetzt in meinen Bildern wieder. Die Realität gewordenen Dystopie dieser Tage hat mich wieder zurückerinnert: Meine Spielplätze ohne Kinder, verlassene Straßen, unbewohnte Gebäude … Nun ist es so, als ob ich dort hingehe, wenn ich hinausgehe. All das, was ich mir als imaginäre Orte vorstellte und malte, umgibt mich jetzt: Eine einsame Peripherie der Seele. In diesem Moment denke ich vor allem daran, was ich habe, und nicht daran, was mir fehlt. Ich denke an meine Familie, helfe meiner Tochter bei den Hausaufgaben, meinem Vater mit dem Nötigsten, telefoniere oder schreibe an einige Freunde.“

»Die innere Arbeit drückt sich dann auch in der Zeichnung aus«

Marina Falco gehört zu denjenigen, die nicht stillhalten können. Als Dozentin an der Brera ist ihr Tag ausgefüllt mit den Vorbereitungen und der Durchführung der Online-Kurse für ihre Student*innen. Sie kann der Corona-Krise durchaus etwas Positives abgewinnen. „Es ist eine Zeit, die dich zum Reflektieren bringt. Diese innere Arbeit drückt sich dann in den Zeichnungen aus und manifestiert sich dort.

Marina Falco

wurde 1967 in Neapel geboren und lebt und arbeitet seit 32 Jahren in Mailand. Sie hat an der Accademia di Brera Malerei studiert, und seit 1999 ist sie dort Dozentin. Unter den zahlreichen Ausstellungen, die sie inner- und außerhalb Italiens hatte, sei hier die 54° Biennale di Venezia – Padiglione Italia in Turin von 2011 genannt. 2016 hat sie in der Frankfurter Westend Galerie ausgestellt.

www.marinafalco.com

Falco vermisst jedoch die Freiheit, über ihr Leben selbst zu entscheiden und es zu organisieren. Ganz besonders trifft sie die mangelnde Bewegungsfreiheit, etwa um nach Neapel zu fahren, wo ihre 84-jährige Mutter ganz allein lebt. „Ich weiß nicht, wann ich sie wiedersehen werde. Das macht mir ein schlechtes Gewissen.“ Sie vermisst ihre Schüler*innen, das Durcheinander im Klassenzimmer vor dem Unterricht, ihre Arbeit. Und obwohl sie online mit ihren Studierenden in Kontakt ist, fühlt es sich für sie an, „als würde man eine neue Flugroute nehmen und man weiß nicht, wie und wann man landen wird.“ Sie vergleicht die Situation mit einem Boot auf hoher See. „Man segelt und plötzlich kommt Wind auf, und man befindet sich in einem starken Sturm.“ Falco legt für sich klare Prioritäten fest und macht keine Vorhersagen.

Marina Falco in ihrem Studio in Mailand

Was die Zeit danach angeht, glaubt Falco, dass, „das Zusammensein nicht mehr dasselbe sein wird, zumindest für eine Weile. Ich glaube auch, dass diese Situation unsere Wahrnehmung von Bewegungen, von Reisen, neu ausrichten wird. Auch die Globalisierung basiert auf diesem Verhältnis: große Entfernungen über kurze Zeiten. Von nun an und für einige Zeit wird eine Grenze auch wieder als solche wahrgenommen werden, eine Abgrenzung, die nicht einfach überschritten werden kann.“

»Kunst kann durch ihre Schönheit eine bessere Welt schaffen«

Raffaele Cioffi sieht sich seit jeher als ein Maler in Quarantäne, denn nur in der Einsamkeit können seine Arbeiten entstehen. Er nutzt unter anderem Instagram als Schaufenster nach „draußen“, um, wenn schon nicht real, wenigstes online Präsenz zu zeigen. 

Raffaele Cioffi

wurde 1971 in Desio (Mailand) geboren. Er lebt in seiner Heimatstadt und arbeitet in der Nähe. Studiert hat er an der Accademia di Brera in Mailand. Er hat sowohl im Ausland als auch in Italien ausgestellt, unter anderem bei der 54° Biennale di Venezia – Padiglione Italia in Turin. In der Frankfurter Westend Galerie hat er bereits dreimal ausgestellt: 2014 mit „Michelangelo Heute“, 2015 mit Lux Lucis und 2018 unter dem Titel „Gemaltes Licht/Luce dipinta“ (Einzelausstellung).

www.raffaelecioffi.com

Da sich sein Atelier außerhalb Mailands befindet, hat er zurzeit keine Chance dorthin zu gelangen. Deshalb realisiert er nun kleinere Arbeiten auf Papier.

Auch ihm raubt das Gefühl, dass etwas Ernstes passiert ist, die Vitalität. „Ich höre von meinem Haus aus die Sirenen der Krankenwagen, die durch die Stadt fahren und die Kranken ins Krankenhaus bringen. Es macht mich unglaublich traurig. Ich denke, dass sich meine Arbeit ändern wird. Aber in welcher Form? Es ist noch zu früh, um das zu sagen.“ Und was fehlt? Die Abendessen im Restaurant oder zu verreisen – kurz die Normalität – fehlt im besonders.

Die Schönheit der Kunst für eine bessere Welt
Raffaele Cioffi inmitten seiner Werke

Dieses historische Ereignis hat alle gleichermaßen getroffen und niemand hat damit gerechnet. „Ich erinnere mich an die Geschichten meines Großvaters, der in den Krieg zog, Hunger und Kälte litt“, so Cioffi. „Heute kämpfen wir gegen einen unsichtbaren Feind, der uns ohne Vorwarnung angreift. Es herrscht Krieg auf den Krankenstationen. Ärzte und Krankenschwestern an der Front behandeln die Kranken, die die Notaufnahmen füllen.“

Cioffi ist davon überzeugt, dass Kunst durch ihre Schönheit eine bessere Welt schaffen kann. Schön wär’s ja.

Vielleicht auch interessant, meine Beiträge Alles wird gut – tutto andrà bene und Aus dem Leben einer Italienerin in Zeiten von Corona.

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Kommentare

  1. Charlotte meint

    Toller Artikel! Schön, einen persönlichen Einblick in das Denken und Fühlen italienischer Künstler*innen in diesen besonderen Zeiten zu bekommen. Danke

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