Castello di Rivoli: Ein Museum für zeitgenössische Kunst bei Turin

Castello di Rivoli: Ein Museum für zeitgenössische Kunst bei Turin
Castello di Rivoli. Museum für zeitgenössische Kunst bei Turin. Foto: Ulrike Schmid

Sonntagmorgen in Turin. Ein warmer Septembertag. Mein erster kompletter Tag in Turin. Meine erste kulturelle Aktivität: Ein Museumsbesuch vor den Toren der Stadt. Das 20 km entfernte Rivoli mein Ziel. Die dortigen Hauptattraktionen? Für mich die Villa Cerruti (zu meinem Artikel) und das zum Museum für zeitgenössische Kunst umgestaltete Schloss – das Castello di Rivoli.

Abriss der Geschichte des Castello di Rivoli

Im Jahr 1159 wurde erstmals ein befestigtes Gebäude an dieser Stelle erwähnt. Ende des 17. Jahrhunderts wurde dieser Bau zerstört und aus Terrakottaziegeln ein Schloss erbaut. Es blieb unvollendet. Das Schloss war Eigentum der Bischöfe von Turin. 1247 wurde es Teil der Savoyer Herrschaft und folgte dem Schicksal der Dynastie bis 1883. Es wurde an die Stadt Rivoli verkauft. War Kaserne. Wurde besetzt, geplündert und bombardiert. Es zogen Werkstätten, Geschäfte, ein Sägewerk im Hof und Ställe ein. Es war Schutzort für Vertriebene. Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung wurde 1979 mit den Restaurierungsarbeiten begonnen. Im Dezember 1984 öffnete das Castello di Rivoli seine Türen als Museum für zeitgenössische Kunst.

Ich laufe von der Piazza Martiri della Libertà durch schmale Straßen hoch zum Schloss. Umrunde es und betrete den Innenhof von der Gartenseite her. Nicht ohne vorher noch den Blick über die Dächer Rivolis bis nach Turin gleiten zu lassen. Optisch erinnert mich das Gebäude eher an eine Schutzburg denn an ein Schloss.

Barocke Lebensart

Rechts von mir steht das Hauptgebäude, links der „Lange Arm“. Einst war er mit dem Haupthaus verbunden und beherbergte die herzogliche Kunstsammlung. Im Innenhof empfängt mich bereits das erste Kunstwerk: „Colonne“ von Pier Paolo Calzolari. Außerdem antike Säulen- und Mauerreste, Sockel, Durchgänge. Durch einen Rundbogen führt eine Treppe zum Eingang des Museums.

Castello di Rivoli: Ein Museum für zeitgenössische Kunst bei Turin
Innenhof des Museums für zeitgenössische Kunst, Castello di Rivoli bei Turin, mit dem Kunstwerk „Colonne“ von Pier Paolo Calzolari. Foto: Ulrike Schmid

Im Innern des Hauptgebäudes führt eine kühle, puristische Treppe in die Ausstellungsräume, die sich über mehrere Etagen erstrecken. Gegenüber im „Langen Arm“ befinden sich die Kasse, ein Museumsshop, ein Café mit Terrasse und Ausblick sowie weitere Ausstellungsräume.

Die Räume im Hauptgebäude sind alles andere als White Cube. Ihnen haftet der Charme einer längst vergangenen Zeit an. Sie erzählen von barocker Lebensart.

Castello di Rivoli: Ein Museum für zeitgenössische Kunst bei Turin

Soll ich nach oben schauen? Die Details an den Wänden bewundern? Mich nur auf die ausgestellte Kunst einlassen? Zu sehen gibt es viel: Holzpaneele, Marmorfußböden, Büsten in Nischen, aufwendige Türverzierungen, Säulen, Gewölbedecken, Fresken an Decken und Wänden, kolorierte Wände, Stuckleisten – Kunst. Das Alte erschlägt nie das Neue, das Neue nie das Alte.

Die Restaurierungen betonen bewusst den unvollendeten Charakter des Gebäudes. Sie werfen Fragen auf: Was mag wohl an den Holzpaneelen gehangen haben? Wie sahen die Böden aus und wie die Leuchter? Wie wurden die Räume genutzt?

Der Raum wird zur Bühne

Sparsam wird die Kunst ausgestellt. Sie bekommt viel Raum, um sich zu entfalten. Sie kommuniziert mit dem alten Gemäuer: Manchmal steht die Kunst im Vordergrund, wird der Raum zur Bühne. Mehrere Arbeiten des Arte-Povera-Künstlers Alighiero Boetti sind „luftig“ in einem Raum ausgestellt. Die Wände ebenso schlicht, ja puristisch wie die Kunst.

Alighiero Boetti: Sedia e Scala (1966), Tutto (1987-88), Catasta (1966), Zig-Zag (1966). Foto: Ulrike Schmid

Fabrio Mauris überdimensionierte Fußmatte dialogisiert mit einem Deckenfresko.

Fabrio Mauris Fußmatte trägt den Titel: „Nessun segno particolare di cultura è fuori da un testo generale storico, e nessun testo generale storico o interpretazione di mondo è fuori dall’enigma più generale dell’universo“ (2009). Foto: Ulrike Schmid

Das schlichte „Casa di Lucrezio“ – Gipsbüsten, -fragmente und Stoff auf Holzstehlen – des Künstlers Giulio Paolini steht in einem üppig dekorierten Raum.

Giulio Paolini: Casa di Lucrezio (1981). Foto: Ulrike Schmid

Das Werk „Respiro“ von Giovanni Anselmo liegt hingegen zu Füßen einer kolorierten gerahmten Wandfläche, über ihm ein teilrestauriertes Deckenfresko.

Giovanni Anselmo: Respiro (1969). Foto: Ulrike Schmid

Entfaltungsspielraum für die Kunst

Wo die Kunst mehr Entfaltungsspielraum benötigt, nehmen sich die Räume zurück. Die gerahmten, einfarbigen, rechteckigen Wandmalereien und die Säule des Konzeptkünstlers Sol LeWitt fügen sich in ihren Proportionen perfekt ein in den vorgegebenen Raum.

Sol Lewitt: Panels and Tower with Colours and Scribbles (1992). Foto: Ulrike Schmid

Die Arbeiten Michelangelo Pistolettis „Persone Nere“, „L’architettura dello specchio“ und „Venere degli stracci“ kommunizieren miteinander und mit uns, den Besucher*innen. Die „Lumpenvenus“ hat es mir besonders angetan. Lumpen und Abfallmaterialien in Verbindung mit einer Venus – Inbegriff der Schönheit. Schönes und Abfall. Heiliges und Profanes. Langlebig und kurzlebig. Kritik an der Konsumgesellschaft.

Michelangelo Pistoletti: Venere degli stracci. Foto: Ulrike Schmid

Einen eigenen Raum bespielt auch das Werk „Cutting Through the Past“ von Rebecca Horn. Als Gegenpol die freskierte Decke. Fünf Türen, die die Zeichen der Zeit tragen. Sie stammen aus einem häuslichen Umfeld. Ein spitzer Metallstab ist horizontal in der Mitte der Plattform positioniert. Von einem Motor aktiviert, vollführt der Stab kontinuierlich eine langsame 360-Grad-Drehung. Er kreist mit der Spitze durch die Schlitze einer jeden Tür. Als Gegenpol darüber die freskierte Decke.

Rebecca Horn: Cutting Through the Past (1992-93). Foto: Ulrike Schmid

Und dann ist da noch das hängende Pferd von Maurizio Cattelan. Auslöser für meinen Besuch. Wie ein Kronleuchter hängt das braune Pferd in einem eleganten Raum von der Decke. Adelt der Raum das Pferd?

In der Sammlung befinden sich noch weitere Werke des als spekulativ kritisierten und provokativen italienischen Künstlers. Zu meinem Leidwesen waren sie nicht ausgestellt.
Maurizio Cattelan: Novecento (1997). Foto: Ulrike Schmid

Ich verlasse das Museum, um zum Treffpunkt für die Führung der Villa Cerruti zu gehen. Dort auf dem Vorplatz, laufe ich direkt auf zwei ineinandergreifende Bäume mit Spiegeln darin zu.

Castello di Rivoli Ein Museum für zeitgenössische Kunst bei Turin
Giuseppe Penone

Der eine scheint sich kopfüber an den Ästen des unteren zu halten. Seine Wurzeln streckt er zum Himmel. Eine Skulptur von Giuseppe Penone. Sie erinnert mich an den Baum vor dem Frankfurter Jüdischen Museum: „Untiteld“ von Ariel Schlesinger.

Umfangreiche Sammlung

Das Museum für zeitgenössische Kunst Castello di Rivoli hat eine äußerst umfangreiche Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst seit den 1960er Jahren. Ein Schwerpunkt liegt auf der italienischen Bewegung Arte Povera. Eine Bewegung von Künstler*innen, die typischerweise räumliche Installationen aus einfachen, gewöhnlichen oder alltäglichen Materialien herstellen. Die Protagonist*innen: Jannis Kounellis, Giuseppe Penone, Michelangelo Pistoletto, Alighiero Boetti, Giovanni Anselmo.

Auch die Namen der anderen Kunstschaffenden lesen sich wie ein Who is Who der Kunstszene: Katharina Sieverding, Anselm Kiefer, Tacita Dean, Hans-Peter Feldmann, Tracy Emin, Christian Jankowsky, Thomas Ruff, Wolfgang Tillmanns.

Jährlich finden vier bis fünf Wechselausstellungen statt. Insofern kann es sein, dass die von mir vorgestellte Präsentation bei deinem Besuch schon wieder eine ganz andere ist.

Kennst du dieses Museum? Wie gefällt es dir? Habe ich dir Lust auf einen Museumsbesuche gemacht? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.

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