Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan

Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan
Cover: Christian Klinger, Die Liebenden von der Piazza Oberdan

Ich nehme es gleich vorneweg: Der Roman „Die Liebenden von der Piazza Oberdan“ von Christian Klinger ist spannend, bewegend und fesselnd zugleich. Ich habe die 300 Seiten förmlich verschlungen. Nachdem ich die ersten 25 Seiten „überstanden“ hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Überstanden deshalb, weil es auch von Kriegsgreueln handelt, die zum Glück nur einen kleinen Teil des Buches einnehmen. In den ersten Kapiteln beschreibt Klinger, wie einer der beiden Hauptprotagonisten, Vittorio Robusti, den 1. Weltkrieg (la grande guerra), erlebt, und in anderen Kapiteln geht es um die Gefangenschaft des zweiten Protagonisten, Pino Robusti, im 2. Weltkrieg.

Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan

Eine Familie und ihre Heimat

Das Buch erzählt in Zeitsprüngen vor und zurück die Geschichte der Triestiner Familie Robusti von 1916 bis 1945. Im Vordergrund stehen Vittorio Robusti und sein Sohn Pino. Aber es ist auch eine Geschichte Triests, ja ganz Italiens. Nach und nach erfahre ich Details aus dem Leben von Vater und Sohn und historischer Ereignisse ihrer Zeit: das Erstarken der Faschisten, der Besuch Mussolinis in Triest, Hunger und Not in Kriegszeiten, Bombenangriffe, aber auch die Veränderungen nach der Eingliederung 1918 in das Königreich Italien. Zu Erinnerung: Triest war mit einer Ausnahme (1809 bis 1814) seit 1382 unter Habsburgischer Herrschaft.

Daneben lerne ich auch viel über die moralischen und erzieherischen Vorstellungen der Zeit, das Leben in einer Stadt mit vielen verschiedenen Nationalitäten. Eine Stadt, die sich nicht ausdehnen kann – vor ihr das Meer, hinter ihr das Gebirge Karst, umgeben von Slowenien.

Fiktion und Realität

Die Zeitsprünge machten das Buch für mich zu einer kleinen „Herausforderung”. Immer wenn eine Lebensgeschichte gerade spannend war, musste ich gedanklich umschalten, weil es zum anderen Protagonisten ging. Das Buch beginnt mit Tag Null und endet mit Tag Null, 6. April 1945, Pinos Todestag. Die Überschriften der einzelnen Kapitel sind Tage im Leben der Protagonisten, etwa „1. September 1920 (minus 8983 Tage), Mittwoch” oder „5. Mai 1944 (minus 336 Tage), Freitag”.

Der Roman hat einen wahren Kern, um den Christian Klinger eine fiktive Geschichte spinnt, die dennoch realitätsnah ist: Die Straßen, Paläste und Orte hat Klinger akribisch recherchiert und teils näher beschrieben. Einige der Orte habe ich während meines Triest-Besuchs aufgesucht. (Könnte man auch ein ganzes Buch oder zumindest einen Blogpost zu schreiben.)

Pino Robusti hat tatsächlich gelebt. Er wurde kurz vor Kriegsende als Partisan beschuldigt und kam im einzigen Konzentrationslager auf italienischem Boden, Risiera San Sabba, ums Leben. In der Gefangenschaft schrieb er zwei berührende und bestürzende Briefe, die heute im Archiv der Gedenkstätte Risiera San Sabba aufbewahrt werden: einen an seine Eltern, den anderen an seine Freundin Laura, mit der er sich am Tag der Verhaftung an der Piazza Oberdan treffen wollte. Diese Briefe sind die Grundlage für Klingers fiktive Geschichte, denn über das Leben von Pino und seine Eltern ist so gut wie nichts überliefert.

Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan
Eingang zum ehemaligen Konzentrationslager, der Gedenkstätte Risiera San Sabba in Triest
Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan
Gedenktafel für Pino Robusti in der Gedenkstätte Risiera San Saba in Triest

Die zwei Liebenden an der Piazza Oberdan

Heute steht auf der Piazza Oberdan eine Skulptur zweier Liebender, „Das Hohelied“ von Marcello Mascherini (1906 – 1983). Der Triestiner Schriftsteller Mauro Covacich erkennt in ihnen Pino und Laura. Er hat dem Paar in seinem Buch „Triest verkehrt“* (im Original: Trieste sottosopra) ein Kapitel gewidmet. Ob es sich tatsächlich um die beiden handelt? Wir wissen es nicht und werden es wahrscheinlich auch nicht herausfinden, da der Künstler nicht mehr lebt. Mir gefällt die Version Covacichs auf jeden Fall, und bei meinem Triest-Besuch habe ich die Skulptur als eine Hommage an die beiden betrachtet.

Skulptur zweier Liebender, „Das Hohelied“ von Marcello Mascherini, Piazza Oberdan, Triest
Skulptur zweier Liebender, „Das Hohelied“ von Marcello Mascherini an der Piazza Oberdan in Triest

Dieses Buch gehört für mich zu denjenigen, die noch lange nachwirken, weshalb ich hier darüber schreibe. Ich wollte mehr über Triest und ihre wechselhafte Geschichte erfahren. Hätte ich nicht eh vorgehabt, Triest zu besuchen, hätte ich es spätestens nach der Lektüre dieses Romans getan. So war das Buch Teil meiner Reisevorbereitung.

Und wer jetzt ein tieftrauriges Buch erwartet, dem kann ich Entwarnung geben. Es gibt viele schöne positive Momente. Die Robustis kommen als Akademikerfamilie, trotz der widrigen Zeitumstände, gut durch die Zeit. Nur am Ende, da musste ich dann doch ein paar Tränchen verdrücken.

Offenlegung
Mir wurde das Buch von der Literaturagentur Günther Wildner im vergangenen Jahr, als das Buch erschienen ist, zur Rezension zugeschickt. Damals war ich für den Inhalt noch nicht bereit. Jetzt war ich es umso mehr und spreche eine klare Leseempfehlung aus.

 

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