Italiens historische Lokale

Orte der Kultur, des Genusses, der Geschichtsschreibung

Italiens historische Cafés: Innenausstattung des Al Bicerin in Turin. Ein antikes Holzregal auf dem große Bonbongläser nebeneinander aufgereiht sind. Dafür steht ein Tresen mit Marmorplatte und darunter gläserne Holzschublade. Darin Pralinen, Kekse, Schokolade
Italiens historische Cafés: Das Caffè Al Bicerin in Turin

Florian, Gambrinus, Tommaseo, Mulassano, Camparino oder Greco. Ob im Süden, Norden oder im Osten Italiens gelegen – gemeinsam haben sie alle, dass sie locali storici, historische Lokale, sind. Sie stehen in jedem Reiseführer und jedem Reiseblog. Auch ich habe über das eine (Caffè Florian) oder andere (Caffè Tommaseo) schon berichtet.

Italiens historische Cafés, Restaurants, Hotels

Geschichte, Promis und Touristen

Berühmte Gäste, historische Ausstattung und dass in dem einen oder anderen auch Geschichte geschrieben wurde, machen die historischen Cafés auch bei Tourist*innen sehr beliebt. Manch ein Lokal hat dadurch seinen Charme verloren: Überteuerte Preise, Service ausbaufähig, wenig Italianità.

Italiens historische Cafes: Innenansicht des Caffé Tommasseo Triest. Quadratische Tische mit weißen gestärkten Tischdecken. Darauf silberne Platzteller, Stoffservieten und Besteck. An den Wänden Stuckverzierungen
Caffé Tommaseo: Wo sich einst Triestiner Kaufleuten, Künstler, Künstlerinnen und anderen Intellektuelle trafen

Bei den historischen Cafés in Turin ist es mir besonders aufgefallen: Viele Tourist*innen (mich eingeschlossen) verändern nicht nur ein Stadtbild, sondern auch die Atmosphäre in einem Lokal. Kaum Einheimische, die sich auf einen Espresso, den Snack in der Mittagspause oder den Aperitif treffen. Sie habe ich in den normalen – den nicht-historischen – Bars und Cafés angetroffen: Frauen im Kostüm, die sich auf eine kurzes Schwätzchen treffen. Ein Ehepaar mit Teenager. Männer in Anzügen, in Uniformen und Arbeitskleidung. Am Tresen stehend oder sitzend in La Stampa oder Gazzetta dello sport vertieft. Mittendrin die eine oder andere Touristin.

Vereinigung Locali storici d’Italia

Zurück zu den historischen Lokalen. Wusstest du, dass sich ein Café, ein Lokal, eine Bar, eine Konditorei oder auch ein Hotel nur dann historisch nennen darf, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt? Zumindest, wenn es mit der entsprechenden Urkunde werben will. Seit 1976 existiert eine Vereinigung, die „Locali Storici d‘Italia“, die den Titel „Locale Storico“ vergibt. Bisher bereits 236 Mal. Doch vor dem Titel kommen die Kriterien, die erfüllt werden müssen:

  • Das Lokal oder Hotel muss seit mindestens 70 Jahre existieren.
  • Räumlichkeit und Möbel müssen im Originalzustand erhalten sein oder Spuren der Vergangenheit aufweisen.
  • Anhand von Erinnerungsstücke oder Dokumenten muss nachgewiesen werden, dass berühmte Gäste ein- und ausgingen oder berühmte Ereignisse stattfanden.

Das älteste, das höchstgelegene, das kleinste

Welches Hotel ist das älteste Italiens? Wo befindet sich das höchstgelegene Lokal? Wie heißt das kleinste Café? In welchem trafen sich Journalist*innen, Anhänger*innen Garibaldis oder Napoleons? Antworten liefert die Website der „Locali storici d‘Italia“. Und ich.

Beispiele gefällig? Bitte schön! Das älteste Hotels ist das Hotel Cavalletto e Doge Orseolo in Venedig. Entstanden um 1200 (!). Auf einer Höhe von 2474 m befindet sich mit dem Albergo Italia al Colle del Gran San Bernardo das höchstgelegene historische Lokal/Hotel. Die kleinsten Cafés sind das Caffè Mulassana und das Caffè Al Bicerin in Turin. Ersteres bekannt als Erfinder des Tramezzino, zweiteres für den Bicerin (ein Espresso-Schokolade-Sahne-Getränk) – und den berühmten Gast, Camillo Benso Graf von Cavour. Bei Journalisten der Zeitschrift „La Voce“ war das Caffè Gilli in Florenz beliebt. Bei Journalisten in Genua das Caffè Mangini. Besonders viele Anhänger Garibaldis trafen sich im Caffè Tasso in Bergamo und in der Antica Focacceria S. Francesco in Palermo. In der Antica Locanda Mincio in Valeggio, Provinz Verona, trafen sich Napoleon-Anhänger.

Du kannst auf der Seite auch ganz ordinär nach Lokalitäten in einzelnen Städten suchen. Beispielsweise in Mailand. Dort gibt es einige. Das berühmteste Lokal ist sicherlich das Camparino am Eingang zur Galleria Vittorio Emanuele. Sehr ansprechend – obwohl es nicht auf der Liste der locali storici steht – finde ich das Marchesi in der Via S. Maria alla Porta 11/a. Es ist das älteste der drei Marchesi-Cafés/-Konditoreien, die es in Mailand gibt. Eröffnet wurde es 1824.

Außenansicht des 1824 gegründeten Marchesi in Mailand
1824 gegründet: Das Marchesi in Mailand

Nach meiner jüngsten Turin- und Mailand-Erfahrung bin ich nicht mehr ganz so begeistert von den historischen Lokale – zumindest nicht in den Hotspot-Städten. Ich hatte bisher in Italien selten das Gefühl, so sehr als Touristin wahrgenommen zu werden, wie in den von mir besuchten historischen Lokalen in den beiden Metropolitanstädten. Ganz anders seinerzeit in Triest: An die Zeit, die ich im Caffè San Marco oder im Caffè Tommaseo verbracht habe, erinnere ich mich gerne zurück. Ja, der Preis im Tommaseo war etwas höher. Essen, Ambiente und Service allerdings top. Im San Marco mit der integrierten Buchhandlung und dem heterogenen Publikum habe ich mich besonders wohl gefühlt.

Italiens historische Cafés: Antico Caffè San Marco in Triest
Italiens historische Cafés: Antico Caffè San Marco in Triest

Nationaler Tag der historischen Lokale

Italien wäre nicht Italien, wenn es nicht auch einen „Nationalen Tag der historischen Lokale“ (Giornata Nazionale dei Locali Storici d’Italia) geben würde. Immer am ersten Samstag im Oktober – heuer also am 5.10. – findet er statt. Damit soll das historisch-kulturelle Erbe bekannter gemacht werden. Als wären sie nicht schon bekannt genug. Führungen, Verkostungen, Konferenzen – all das wird an diesem Tag angeboten, um mehr über die Geschichte der historischen Orte zu erfahren.


Canzone – Das Lied zum Beitrag

Mein Liedauswahl fiel auf „La Vuchella“, dessen Text Gabrielle d’Annunzio im Caffè Gambrinus in Neapel geschrieben hat. Es avancierte zu einem der bekanntesten neapolitanischen Lieder. Meine Version singt keine geringerer als Luciano Pavarotti.


Welches historische Lokal hast du bereits besucht? Wie hast du die Atmosphäre wahrgenommen? Erzähl es mir doch im Kommentarfeld.

Leser-Interaktionen

Kommentare

  1. Raphaela meint

    Das ist ja wirklich sehr kurios! Ich musste gerade schmunzeln, weil die ersten beiden Kriterien auf so viele Bars zutreffen, aber es dann tatsächlich an der 3. Voraussetzung scheitert 😉
    Ich habe eben mal geschaut, was es so auf Sizilien gibt. Tatsächlich kenne ich aber nur die von dir bereits erwähnte Antica Focacceria in Palermo. Und da gebe ich dir auf jeden Fall recht: man fühlt sich wie der absolute Tourist.
    Danke für den Input, dann fahre ich demnächst mal nach Chiaramonte!

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