Eine Ausstellung in zehn Akten

Ausstellungstipp: „Dal Cuore alle mani“ von Dolce&Gabbana

In der Ausstellung von Dolce&Gabbana: Zwei Figuren (Frau und Mann) in Kleid und Jacke besetzt mit Kristallen, Lurex, Perlen, kleinen Spiegeln, Plexiglasblumen.
Setting eines Paares im Raum „L’arte e la maestria del vetro“ in der Ausstellung von Dolce&Gabbana, Foto: Michael Adair

[versione italiana]

Die Ausstellung „Dal Cuore alle mani“ (Vom Herzen zu den Händen) des Designerpaares Domenico Dolce & Stefano Gabbana im Mailänder Palazzo Reale umfasst zehn plus einen Saal. Kuratiert von Florence Müller, Modehistorikerin, Kunstkuratorin und Autorin, handelt es sich nicht um irgendeine Ausstellung. Sie ist eine Referenz an die Alta Moda, die Alta Sartoria, die Alta Gioielleria. Der Handwerkskunst auf allerhöchstem Niveau gewidmet. Sie zeichnet den Entstehungsprozess vom Herzen, wo die Ideen geboren werden, bis zu den Händen, die ihnen die Form geben, nach. Eine Ausstellung, die sich auch auf die Wurzeln von Dolce&Gabbana, auf ihr Land, die italienischen Kultur, Geschichte Kunst und handwerklichen Fähigkeiten bezieht.

Theatralik in zehn Akten – Ausstellung von Dolce&Gabbana

Alta Moda – Alta Sartoria

Alta Moda ist das italienische Pendant zur französischen Haute Couture. Im Gegensatz zum französischen Begriff ist der italienische nicht geschützt.
Verstanden wird darunter in beiden Fällen die „hohe Schneiderkunst“. Bei der Verarbeitung müssen bestimmte Kriterien eingehalten werden. Etwa viel Handarbeit.
Die Kreationen sind meist aufwändig. Dolce&Gabbana benutzen den Begriff nur für die Damenlinie, die Herrenlinie bezeichnen sie als Alta Sartoria.
Außer Dolce&Gabbana fertigen auch Versace, Armani, Valentino, Gucci, Prada, Fendi Alta-Moda-Kollektionen.

Nicht nur die ausgestellten Kleidungsstücke sind außergewöhnlich. Auch die Räumlichkeiten, die Szenerie, die Atmosphäre. Du erwartest ein didaktisches Projekt bekleideter Schaufensterpuppen? Fehlanzeige! Das würde nicht zu Dolce&Gabbana passen. Jeder Raum ist einzigartig. Jeder hat ein Thema, seine eigene Szenografie, seine Farben, seine Materialien – und die entsprechende Musik. Alles im Einklang mit den ausgestellten Kleidungsstücken und angepasst an die Alta Moda, Alta Sartoria, Alta Gioielleria. Jeder Raum vom anderen strikt durch schwere Vorhänge getrennt.

Il fatto a mano – handgefertigt

In der Ausstellung von Dolce&Gabbana:
Pompös geht’s gleich los im ersten Raum “Il fatto a mano”

Ich betrete den ersten Raum Il fatto a mano – der die Ausstellung einleitet – und bin geflasht. In der Mitte des Raumes ein schwarzes Podium. Darauf verschiedene Modelle der Alta Moda. Eine Hommage von Dolce&Gabbana an Städte und Inseln, die an die Grand Tour von einst erinnern: Mailand, Rom, Capri, Florenz, Neapel, Venedig. Einige der Kleidungsstücke zeigen Szenen dieser Städte: Markusdom in Venedig. Trulli in Alberobello. Ich bin begeistert von der präzisen Darstellung der Straßenszenen und Gegenstände in der Altstadt Neapels. WAHNSINN! An den Wänden hängen Gemälde von Anh Duong, Künstlerin, Schauspielerin, Modell. Sie kommunizieren mit der Kleidung. Sie bilden die Bekleidung ab.

L’arte e la maestria del vetro – Kunst und Virtuosität der Glasfertigung

Ein Meer von Kristallleuchtern aus Murano in der Ausstellung Dal Cuore alle mani con Dolce&Gabbana
Die hohe Kunst der Glasfertigung

Ich schiebe den schwarzen Vorhang beiseite und stehe in einem Meer aus Kristallleuchtern. Eine Hommage an die venezianische Glaskunst. Der Raum eingetaucht in Schwarz: Wände, Decke, Podeste, auf denen die Kleidungsstücke präsentiert werden. Aus dem Off höre ich Geräusche von Glas und Spiegeln, die zerbersten. Ich nähere mich den Kleidungsstücken: Kleider mit eingesetzten Kristallen, besetzt mit Lurex, Perlen, kleinen Spiegeln, Plexiglasblumen.

Il Gattopardo – Der Leopard

In der Ausstellung von Dolce&Gabbana: An den Wänden und Decken Tapeten mit Scheinarchitektur und ein Pseudofresko in der Mitte der Decke. Links stehen auf einem Podest Rekonstruktionen antiker Möbel (Kerzenleuchter, goldene Stühle mit rotem Samt, Konsolen). Dazwischen Kleidungsstücke, die ans 19. Jahrhundert erinnern: schwarze Spitzenkleider, rote Uniform, die an Garibaldis Rothemden erinnern. An den Wänden verwandeln sich vier Spiegel in Bildschirme mit Szenen aus dem Film. Ein riesiger Kronleuchter beleuchtet die Szenerie. Rechts steht ein Paar – Angelica und Tancredi – bereit zum Tanz.
Vorhang auf für die Hommage an den Film Il Gattopardo von Luchino Visconti

Vorhang auf für den dritten Raum: Il Gattopardo. Eine Reminiszenz an den gleichnamigen Film von Luchino Visconti nach dem Buch von Giuseppe Tomasi di Lampedusa.

Die Kulisse katapultiert mich direkt in den Palazzo Valguarnera-Gangi in Palermo. Hier wurde die berühmte Ballszene gedreht. An den Wänden und Decken Tapeten mit Scheinarchitektur und sogar ein Pseudofresko in der Mitte der Decke. Links stehen auf einem Podest Rekonstruktionen antiker Möbel (Kerzenleuchter, goldene Stühle mit rotem Samt, Konsolen). Dazwischen Kleidungsstücke, die ans 19. Jahrhundert erinnern: schwarze Spitzenkleider, Abendanzüge und Uniformen der Garibaldini. Alles in Alta-Moda- und Alta-Sartoria-Manier.

An den Wänden verwandeln sich vier Spiegel in Bildschirme mit Szenen aus dem Film. Ein riesiger Kronleuchter beleuchtet die Szenerie.
Mich zieht es magisch zum Geschehen auf der rechten Seite des Raumes. Hier steht ein Paar – Angelica und Tancredi – bereit zum Tanz. Ihr Abendkleid ist selbst eine Hommage an den Film: Leoparden, sizilianische Motive und Schriftzüge. Zunächst auf die Seide gemalt (!) und anschließend fein säuberlich zusammengenäht. Das Muster passt! Ich bin begeistert von der handwerklichen Kunst. Klar, dass die Musik in diesem Raum aus dem Film „Il gattopardo“ stammt.

Vestire l’architettura e la pittura – in Architektur und Malerei gekleidet

Ganz anders gestaltet ist der nächste Raum. Gewidmet der Malerei und der Architektur: Ein langer, rechteckiger Raum, der an die Architektur des Palazzo Farnese in Rom erinnert. Schwarzer Velourteppichboden, Laufsteg, immersive Videoinstallation mit Fresken. Die als Videomapping dargestellten Gemälde treten in Dialog mit den auf dem Laufsteg in der Mitte des Raums ausgestellten Alta-Moda- und Alta-Sartoria-Kleidungsstücken. Textile Kunstwerke für sich! Gemälde von Raffael, Tizian und Botticelli zieren Jacken, Kleider, Mäntel. Alle manuell auf Organza bestickt: Die Madonna Bardi von Sandro Botticelli auf einer Herrenjacke. Ein Kleid mit der Darstellung der Madonna del Prato (Belvedere) von Raffaello Sanzio. Das Porträt eines Mannes von Giovan Battista Moroni.

Il cuore di Milano – Das Herz von Mailand

Ausstellung Dal Cuore alle mani von Dolce&Gabbana. In einem rot ausgekleideten Raum steht eine Figur in einem von der Madonnina inspirierten zart-goldenem Kleid.
Madonnina: Herz und Seele Mailands

Es folgen die Räume La devozione (Hingabe), Le tradizioni siciliane (sizilianische Traditionen), Il barocco bianco (Weißer Barock), Le divinità in sogno (Götter in Träumen), L’opera (Die Oper). Zum Abschluss des Rundgangs: die Madonnina – Herz und Seele Mailands – „der zusätzliche Raum“. In einem Gespräch mit der Vogue Italia erwähnte Domenico Dolce, dass er, als er nach Mailand kam, die Madonnina gebeten habe, ihn nicht nach Sizilien zurückzuschicken und ihn hier bleibenzulassen. Sie erhörte ihn. Präsentiert wird in dem kleinen rot ausgestatteten Raum ein von der Madonnina inspiriertes zart-goldenes Spitzenkleid.

La sartoria. Ornamenti e volumi – die Schneiderei

Der Raum ist einer Alta-Moda-/Alta-Sartoria-Werkstätte nachempfunden: Tische, Schneiderpuppen, Bügeleisen, an Stangen aufgereihte Schnittmuster, Zubehör, ein Modell aus Nessel. Schneiderinnen und Schneider, die an Schneiderpuppen arbeiten.
Das Herzstück der Ausstellung von Dolce&Gabbana

Der Saal „Die Schneiderei“ fehlte bisher in meiner Aufzählung. Obwohl sie das Herz der Ausstellung ist. Ihr will ich ein paar extra Zeilen widmen. Denn ohne die Schneiderei, wären all die wunderbaren Entwürfe nichts. Hier geht mein Schneiderherz auf. Der Raum ist einer Alta-Moda-/Alta-Sartoria-Werkstätte nachempfunden: Tische, Schneiderpuppen, Bügeleisen, an Stangen aufgereihte Schnittmuster, Zubehör, ein Modell aus Nessel.

Jeden Freitag sind Schneiderinnen und Schneider anwesend. Aus der Distanz durfte ich ihnen beim Entstehen von Haute-Couture-Modellen zusehen. Alta Moda und Alta Sartoria heißt Geduld haben, heißt viel Handarbeit auf höchstem Niveau – ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. 🙂 Ich fand’s toll, ihnen bei der Arbeit zusehen zu können.

Alta Moda, Alta Sartoria, Alta Gioielleria

Alle ausgestellten Kleidungsstücke waren Teil der Alta Moda- und Alta-Sartoria-Schauen der Jahre 2016 bis 2024 von Dolce&Gabbana.

Wenn du, wie ich, ein Faible für die hohe Schneiderkunst und außergewöhnlichen Modelle hast, schau dir diese theatralische Inszenierung an. Sie fordert alle Sinne, kann sogar überfordern. Ich war tief beeindruckt – und habe sie mir sogar zweimal angesehen. Wieder zurück in Frankfurt schmökere ich im Katalog, der viele Eindrücken der Schauen sowie Hintergrundinformationen enthält. Vielleicht schau ich mir auch wiedermal den Film Il gattopardo an.

Die Ausstellung soll auch in anderen Städten gezeigt werden. Noch sind die nächsten Stationen nicht bekannt. Erstmal hast du noch bis zum 31. Juli Zeit, dir die Ausstellung im Herzen Mailands, im Palazzo Reale anzusehen.


Canzone – die Lieder der Ausstellung und zum Beitrag

Normalerweise füge ich jedem Beitrag ein passendes Lied hinzu. In diesem Mal ist es eine ganze Liste, die ich auf Spotify zusammengestellt habe.


PS: Wenn du schon im Palazzo Reale bist, dann schau dir auch die Ausstellung „Reflected Treasures“ mit Schmuck, extravaganten Sonnenbrillen und Schuhen von Dolce&Gabbana an. Ganz nebenbei kannst du drei historische Räume bewundern. Dolce&Gabbana haben die Restaurierung dieser Räume ermöglicht. Der Eintritt ist frei.

Eine weitere aktuelle und sehenswerte Ausstellung ist die über den impressionistischen Maler Giuseppe de Nittis.

 

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