Es war mein Land, von Anfang an. Es ist ein fehlerhaftes Land, es sündigt, es ist perfide und manchmal sogar teuflisch. Dennoch liebe ich es. Das mag daran liegen, dass ich immer meine lebenslustige ostpreußische Familie gesucht habe, vermischt mit Teilen der melancholischen Schlesier. Und am Ende habe ich sie in Italien gefunden.
In ihrem jüngsten Buch „All’italiana. Wie ich versuchte, Italienerin zu werden“ gibt die deutsch-italienische Autorin und Journalistin Petra Reski einen Abriss der italienischen Geschichte ab 1989. Dafür verwebt sie ihre eigene Lebensgeschichte und ihren Versuch, die italienische Staatsbürgerschaft zu bekommen, mit den politischen Entwicklungen in Italien.
Mit einem Sprachkurs in Castiglioncello und ihrem Wunsch, Auslandskorrespondentin werden zu wollen, fing alles an:
Die Investition in meinen Italienischkurs hat sich gelohnt, noch im gleichen Jahr darf ich zum ersten Mal als Journalistin nach Sizilien fahren […]. Meine allererste Reportage über Palermo erscheint auch nicht. Aber am Ende dieser Reise habe ich ein Land und eine Liebe fürs Leben gefunden: in Venedig, wohin ich von Palermo aus geflogen bin, weil ich dort ein Interview führen sollte. Das auch nicht zustande kommt. Stattdessen läuft mir der Italiener meines Lebens zu. Schicksal eben.
Petra Reski nimmt uns mit auf ihre Reportagereisen nach Sizilien, ins Salento, nach Turin und Genua. Lässt uns teilhaben an Gesprächen, die sie mit italienischen Kolleginnen und Kollegen führt. Wir erfahren dabei zum Beispiel, dass sich in den 1950er und 1960er Jahren auf Sizilien Unternehmen ansiedelten, die woanders nicht genehmigt worden wären: Erdölindustrie, Zementfabriken, Gas- oder Chemiewerke. Und Müllverbrennungsanlagen. Die Auswirkungen werden Jahre später offenkundig. So zieht sich die Fremdherrschaft wie ein roter Faden durch die Geschichte Siziliens: Was einst die Araber, Normannen und Bourbonen waren, sind später norditalienische Industrielle.
„Ich gebe, damit du gibst“
Der Untertitel „Wie ich versuchte, Italienerin zu werden“ ist eigentlich nur Mittel zum Zweck, der rote Faden, an dem die Autorin ihre Erzählung auffädelt. Sie beschreibt Italien aus der Außenperspektive und ohne Verklärung, wie sie vielen Deutschen zu eigen ist: das Gemauschel zwischen den politischen Parteien nach dem Prinzip „Ich gebe, damit du gibst“. Die Verflechtungen zwischen Parteien und Mafia, Unternehmen sowie staatlich subventionierter Presse.
In den folgenden Jahrzehnten werde ich erleben, dass sich die Namen der Verleger zwar ändern, nicht aber das Geschäftsmodell, über die Medien politischen Einfluss auszuüben.
Mafia, Berlusconi und die Bewegung Cinque Stelle
Die Mafia und der sich verändernde politische Stil mit dem Auftreten Silvio Berlusconis auf der politischen Bühne nehmen im Buch viel Raum ein. Dessen eigenwilliges Verständnis von Politik und die Resignation der Italienerinnen und Italiener sind nach Reskis Verständnis Wegbereiter für die heutige Meloni-Regierung.
Als Auslandskorrespondentin für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften auf unbestimmte Zeit ordnet sie Bewegungen und Ereignisse in Italien ganz anders – kritischer – ein und zeichnet ein differenzierteres Bild des Landes, als es die deutschen Medien häufig tun. Gut nachzuvollziehen beim „Movimento 5 Stelle“ (5-Sterne-Bewegung): Reski beschreibt die Anfänge der Bewegung, wie sie den Anführer und Komiker Beppo Grillo erst kennenlernt, dann interviewt und er sie schließlich bei einem Parteitag spontan auffordert, eine Rede zu halten (Mein Respekt!). Es sind die persönlichen Erfahrungen der Autorin, die mir besonders gefallen. Hier entstehen ganz viele Bilder in meinem Kopf.
Große und kleine Geschichten
Neben diesen „großen“ politischen Themen findet man jedoch auch Anekdoten und viele kleine Geschichten. Etwa die über die Trauermesse für Luciano Pavarotti oder die über Rita Atria, eine junge Sizilianerin, die über die Mafia in ihrem sizilianischen Dorf aussagt und daraufhin von ihrer Mutter verstoßen wird. Situationen zum An-den-Kopf-fassen, weil das doch alles nicht sein kann. Doch, kann es! Oft genug selbst erlebt. Kurzweilige Einschübe von flüchtigen Begegnungen. Und auch der Venezianer an der Seite der Autorin, dem wir indirekt auch dieses Buch zu verdanken haben, kommt immer wieder mit kurzen, pointierten Statements zu Wort:
Du bist hier in Italien! Ja und? Was soll das denn heißen?, frage ich. Und er sagt: Niente. Das sagt er immer, wenn jemand zu begriffsstutzig ist, um die offensichtlichsten Zusammenhänge zu verstehen.
Wir bekommen auch Einblicke ins Auslandkorrespondentinnenleben und deren Hackordnung:
Als mich der Stern einmal – mehr aus Versehen – damit beauftragt, ein Porträt über Außenminister Gianni De Michelis, einen Venezianer, zu schreiben, rastet ein Rom-Korrespondent aus […].
Italienische Grammatik
Viele Passagen finde ich berührend, andere – etwa die über die italienische Grammatik – bringen mich zum Schmunzeln. Auch deshalb, weil ich selbst mit manchen Zeitformen und Modi, konkret dem passato remoto, auf Kriegsfuß stehe, den Konjunktiv dafür umso mehr liebe:
Im Unterschied zu Frankreich […] überschlagen sich die Italiener förmlich, wenn ich nur ein grazie über die Lippen bringe, sie ertragen geduldig, wenn ihnen ein ciao aufgedrückt wird (mit ciao wird nur begrüßt, wer geduzt wird), und feiern jede Bildung des richtigen Konjunktivs wie eine geglückte Atlantiküberquerung.
Als Romanistin bin ich ambitioniert, wobei mein Ehrgeiz durch die Existenz des passato remoto etwas ausgebremst wird. Die ferne Vergangenheit macht mir zu schaffen […]. Kurz: Das passato remoto macht mich fertig, der Konjunktiv erst recht, ich sage nur: congiuntivo trapassato. Im Italienischen gibt es Zeiten, die kann man sich als Deutsche gar nicht vorstellen, geschweige denn konjugieren.
Das Buch ist detailreich, informativ, kurzweilig, witzig und gespickt mit Pointen. Ein Muss für alle, für die Italien nur „Dolce Vita“ ist – und für alle anderen, die tiefer einsteigen wollen, sowieso. Es ist ein Buch voller Liebe für ein Land mit all seinen Rätseln, für seine Menschen – und für den Italiener an der Seite der Autorin.
Epilog
Der Titel des Buches lässt vermuten, dass Petra Reski nicht Italienerin wurde. Wurde sie! Nur dauerte es etwas und das Prozedere ließ sie verzweifeln. Vom ersten Antrag bis zur Vereidigung als italienische Staatsbürgerin im März 2022 dauerte es insgesamt sechs Jahre.
Canzone – Das Lied zum Beitrag
Die Beerdigung von Luciano Pavarotti nimmt im Buch mehrere Seiten ein. Deshalb habe ich mich für Nessun Dorma aus der Oper Turandot von Giacomo Puccini entschieden.
Offenlegung
Der Droemer Knaur Verlag hat mir das Buch zur Rezension zugeschickt.
Petra Reski, All’italiana. Wie ich versuchte, Italienerin zu werden, erschienen am 2. September 2024 im Droemer Knaur Verlag.
*Das Buch bekommst du in deiner Lieblingsbuchhandlung, beim Droemer Knaur Verlag oder bei Hugendubel. Der Hugendubel-Link ist ein Affiliate-Link. Wenn du das Buch darüber einkaufst, verdiene ich ein paar Cent. Nicht viel, mich freut es dennoch.
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