
Allzu oft bleiben die Errungenschaften von Frauen im Schatten der Männer. Dabei gibt es unzählige Italienerinnen, die mit ihrem Mut, ihrer Kreativität und ihrem Pioniergeist bleibende Spuren hinterlassen haben.
Zum Internationalen Frauentag möchte ich einige dieser außergewöhnlichen Frauen ins Rampenlicht rücken. Sie kämpften für Rechte, revolutionierten Kunst, Wissenschaft und Politik, mischen ganz oben und seit Jahrzehnten mit in Musik und Mode oder durchbrachen gesellschaftliche Barrieren. Ihre Geschichten verdienen es, erzählt zu werden – nicht nur zu diesem Tag, sondern immer. 15 Frauen, die in unterschiedlichen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten gelebt haben und mit den Herausforderungen ihrer Zeit zu kämpften – und sie auf ihre eigene Weise überwanden.
15 inspirierende Italienerinnen in Kunst, Wissenschaft und Politik
Inhaltsverzeichnis
Artemisia Gentileschi – Kämpferin mit dem Pinsel
Artemisia Gentileschi (1593–1654) war eine der bedeutendsten Barockmalerinnen Italiens. Sie war eine der ersten Frauen, die in die renommierte Accademia di Arte del Disegno in Florenz aufgenommen wurde. In einer Zeit, in der Kunst eine Männerdomäne war, kämpfte sie nicht nur für ihre Karriere, sondern auch für ihre persönliche Gerechtigkeit. Nachdem sie als Jugendliche von ihrem Lehrer Agostino Tassi vergewaltigt wurde, führte ihr Vater einen aufsehenerregenden Prozess gegen ihn. Das Gericht verurteilte Tassi. Er durfte wählen zwischen fünf Jahren als Sträfling auf einer Galeere oder Verbannung aus Rom. Tassi zog letzteres vor. Trotz sozialer und persönlicher Hindernisse ließ Gentileschi sich nicht unterkriegen.
Ihre Werke, darunter „Judith enthauptet Holofernes“, zeigen kraftvolle, entschlossene Frauen – oft mit einem subversiven Blick auf traditionelle Geschlechterrollen. Heute gilt sie als eine der ersten feministischen Künstlerinnen der Geschichte.
Tipp: Im Podcast „Augen zu“ sprechen Giovanni di Lorenzo und Florian Illies über das dramatische Leben von Artemisia Gentileschi.
Laura Bassi – Die erste Professorin Europas
Laura Bassi (1711–1778) war eine wissenschaftliche Pionierin und die erste Frau in Europa, die eine Professur an einer Universität erhielt. Bereits mit 21 Jahren wurde sie an der Universität Bologna promoviert und später zur Professorin für Philosophie ernannt. Eine Sensation in einer Zeit, in der Frauen kaum Zugang zur akademischen Welt hatten. Sie setzte sich besonders für die Verbreitung der Newtonschen Physik ein und hielt private Vorlesungen, da sie als Frau offiziell nur eingeschränkte Lehrbefugnisse hatte.
Bassi bewies, dass Frauen in der Wissenschaft Großes leisten können. Sie ebnete den Weg für kommende Generationen von Wissenschaftlerinnen und kämpfte zeitlebens für die Gleichberechtigung in der akademischen Welt. Die 1772 frei gewordene Physik-Professur wurde zunächst nicht ihr angeboten, sondern ihrem Mann. Er wollte jedoch, dass seine Frau diese Professur erhält. 1776 übernahm sie den Lehrstuhl für Physik.
Tipp: Der WDR-Geschichts-Podcast „Zeitzeichen“ widmete ihr eine Sendung, im History-Podcast von Deutschlandfunk Nova, wird in einer Folge auf sie eingegangen.
Beate Ceranski hat unter dem Titel „Und sie fürchtet sich vor niemandem. Die Physikerin Laura Bassi (1711-1778)“ eine Biografie über sie geschrieben.*
Cristina Trivulzio di Belgiojoso – Freiheitskämpferin, Wohltäterin, Journalistin
Cristina Trivulzio di Belgiojoso (1808–1871) war eine zentrale Figur der italienischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie war eine der ersten Frauen, die aktiv in die Politik eingriffen. Als Adelige nutzte sie ihr Vermögen, um den Risorgimento – die italienische Nationalstaatsgründung – zu unterstützen. Sie organisierte Krankenhäuser für Verwundete und schrieb politische sowie sozialkritische Essays.
Sie war die erste Frau, für die in Mailand eine Statue aufgestellt wurde (2021). Sie war nicht nur eine mutige Unterstützerin Garibaldis, sondern auch eine Intellektuelle, die für soziale Reformen kämpfte. Ihre Schriften über Frauenrechte und politische Freiheit machen sie zu einer Vordenkerin des modernen Feminismus in Italien.

Maria Montessori – Revolutionärin der Bildung
Maria Montessori (1870–1952) veränderte die Art und Weise, wie Kinder auf der ganzen Welt lernen. Als eine der ersten Medizinerinnen Italiens entwickelte sie eine neue Pädagogik. Diese basierte auf Selbstständigkeit, individuellen Lernrhythmen und Respekt vor dem Kind. die auf Selbstständigkeit, individuellen Lernrhythmen und Respekt vor dem Kind basierte. Ihr Montessori-Ansatz wird heute weltweit in Schulen angewandt.
Ihr innovativer Blick auf Bildung stellte starre Lehrmethoden infrage und gab Kindern eine aktive Rolle im Lernprozess. Bis heute profitieren Millionen von Schüler*innen von ihren Erkenntnissen.
Grazia Deledda – Literaturnobelpreisträgerin und Stimme Sardiniens
Grazia Deledda (1871–1936) erzählt in ihren Werken vom harten Leben auf Sardinien, von Traditionen, Schicksal und dem Kampf um Selbstbestimmung.
Ihr Roman Elias Portolu brachte ihr internationalen Ruhm ein. 1926 erhielt sie für diesen Roman den Nobelpreis für Literatur. Sie war die erste italienische und die dritte Frau überhaupt, die mit diesem prestigeprächtigen Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Geschichten brachten die sardische Kultur und die Kämpfe einfacher Menschen in die Weltliteratur.
Sibilla Aleramo – Erste feministische Autorin
Sibilla Aleramo (1876–1960) war eine der ersten italienischen Schriftstellerinnen, die offen über die Unterdrückung von Frauen und ihre Suche nach Selbstbestimmung schrieb. Ihr autobiografischer Roman Una donna (Eine Frau) von 1906 erzählt die Geschichte einer Frau, die sich aus einer unglücklichen Ehe befreit. Für die damalige Zeit ein Skandal, aber auch ein Meilenstein der feministischen Literatur.
Sie brach mit gesellschaftlichen Konventionen und ebnete den Weg für spätere Schriftstellerinnen. Ihr Mut, Frauenrechte in den Fokus der Literatur zu rücken, machte sie zu einer Ikone der italienischen Frauenbewegung.
Tipp: Ihr Roman „Eine Frau“ ist 2024 in einer Neuübersetzung von Ingrid Ickler erschienen.*
Anna Magnani – Ikone des italienischen Films
Anna Magnani (1908–1973) machte das italienische Kino international berühmt. Mit ihrer unverwechselbaren Mischung aus Temperament, Authentizität und Intensität verkörperte sie die echte, ungeschönte Frau – fernab von Hollywoods Glamouridealen. Ihr Durchbruch kam 1945 mit Roma, città aperta (Rom, offene Stadt) (1945), einem Schlüsselwerk des Neorealismus. 1956 gewann sie als erste Italienerin den Oscar für The Rose Tattoo (Die tätowierte Rose).
Sie brachte eine neue Art des Schauspielens auf die Leinwand – roh, leidenschaftlich, lebensnah. Mit ihrer unvergesslichen Präsenz prägte sie die Filmgeschichte und ebnete de. Weg für starke, realistische Frauenrollen im Kino.
Rita Levi-Montalcini – Nobelpreisträgerin mit unerschütterlichem Willen
Rita Levi-Montalcini (1909–2012) war eine der herausragendsten Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts. Als Jüdin durfte sie unter Mussolini nicht forschen. Deshalb zog sie 1936 nach Belgien. Kurz vor der deutschen Invasion (1940) kehrte sie nach Italien zurück. Dort arbeitete sie heimlich in ihrer Privatwohnung weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte sie in die USA. Dort entdeckte sie den Nervenwachstumsfaktor (NGF), eine bahnbrechende Erfindung für die Neurowissenschaften. Für ihre Forschung erhielt sie 1986 den Nobelpreis für Medizin. Bis ins hohe Alter engagierte sie sich für Frauen in der Wissenschaft und betonte, dass „das Gehirn nie in Rente geht.“
2001 wurde sie als zweite Frau zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt. Eine Auszeichnung die der italienische Staatspräsident für besondere Verdienste vergibt. Außer ihr wurden seit 1947 erst zwei weitere Frauen zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt (2013 die Pharmakologin Elena Cattaneo, 2018 die Holocaust-Überlebende und Unternehmerin Liliana Segre).
Natalia Ginzburg – Starke weibliche Stimme in der Literatur
Natalia Ginzburg (1916–1991) war eine brillante Schriftstellerin, die sich in ihren Romanen, Essays und Theaterstücken mit den Herausforderungen von Frauen in der italienischen Gesellschaft auseinandersetzte. Sie lebte während des Faschismus im Exil, nachdem ihr antifaschistischer Ehemann verhaftet und ermordet wurde.
Ihre Werke, darunter Tutti i nostri ieri (Alle unsere Gestern*), Lessico famigliare (Familienlexikon*) und Le piccole virtù (Die kleinen Tugenden*) sind tiefgründige Reflexionen über Familie, Frauenrollen und Gesellschaft. Sie setzte sich als Politikerin und Intellektuelle für Meinungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit ein. 1963 gewann sie den prestigeträchtigen italienischen Literaturpreis Premio Strega.
Tina Anselmi – Kämpferin für Gerechtigkeit und erste italienische Ministerin
Tina Anselmi (1927–2016) war eine der ersten Frauen, die in Italien Ministerin (für Arbeit und Sozialversicherung, 1976) wurde – und eine Pionierin im Kampf für Gleichberechtigung. Als junge Frau schloss sie sich der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus an. Später setzte sie sich als Politikerin für Frauenrechte, Arbeitnehmerrechte und soziale Gerechtigkeit ein.
Sie leitete zwischen 1981-1987 den parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen die geheime Freimaurerloge Propaganda Due (P2). Die Freimaurerloge wollte die Regierung unterwandern und die Politik aus dem Hintergrund umgestalten.
Franca Viola – Vorreiterin der Emanzipation
Franca Viola (geb. 1948) schrieb 1966 Rechtsgeschichte. Als erste Frau in Italien verweigerte sie eine „Wiedergutmachungsehe“ (matrimonio riparatore) – eine Praxis, die Opfer zwang, ihren Vergewaltiger zu heiraten, um die „Familienehre“ zu wahren. Sie lehnte dies öffentlich ab und setzte die Verurteilung ihres Täters durch.
Dank ihres Mutes wurde 1981 das Gesetz abgeschafft, das „Wiedergutmachungsehe“ legitimierte. Viola wurde zu einem Symbol für Frauenrechte und den Widerstand gegen patriarchale Strukturen.
Tipp: Ihre Lebensgeschichte wurde verfilmt. La moglie più bella (Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft) Den Film kannst du dir bei Youtube ansehen.
Carla Fracci – Primaballerina, mit großer Ausstrahlung
Carla Fracci (1936–2021) war eine der größten Ballerinen des 20. Jahrhunderts. Sie brachte den klassischen Tanz in die breite Öffentlichkeit. An der Ballettschule der Mailänder Scala erhielt sie ihre Ausbildung. Später war sie an der Scala Primaballerina. Sie tanzte auf den renommiertesten Bühnen der Welt und arbeitete mit Tanzlegenden wie Rudolf Nurejew und Mikhail Baryshnikov zusammen. Trotz ihrer internationalen Erfolge blieb sie stets mit Italien verbunden und setzte sich für die Förderung des Tanzes in ihrer Heimat ein.
Sie revolutionierte die Wahrnehmung des klassischen Balletts in Italien und inspirierte Generationen von Tänzerinnen. Mit Anmut und Ausdrucksstärke machte sie Tanz zu einer universellen Kunstform, die Menschen aller Schichten berührte.
Tipp: Bei Raiplay gibt es eine Doku über ihr Leben
Miuccia Prada – Visionärin der Mode
Miuccia Prada (geb. 1949) verwandelte das Mailänder Familienunternehmen Prada von einer Lederwarenmanufaktur in eines der einflussreichsten Modehäuser der Welt. Sie kombiniert Luxus mit Intellekt und entwirft avantgardistische Designs. Mit ihren Kollektionen hinterfragt sie Schönheitsideale und gesellschaftliche Normen.
Mit ihren mutigen Entwürfen prägte sie den Begriff „Ugly Chic“ – eine Ästhetik, die bewusst mit Konventionen bricht. Ihr Einfluss geht über die Mode hinaus. Als feministische Denkerin und Mäzenin unterstützt sie Kunst und Kultur weltweit. Sie hat mit ihrem Ehemann die Fondazione Prada gegründet, eine Kulturinstitution, die sich der zeitgenössischen Kunst, Kino, Fotografie, Philosophie, Tanz und Architektur widmet. Mich begeistert sie, weil sie in der Modewelt seit Jahren ganz oben mitmischt.
Gianna Nannini – Rebellische Rockröhre Italiens
Gianna Nannini (geb. 1954) ist eine der erfolgreichsten Rockmusikerinnen Italiens. Mit ihrer rauen, markanten Stimme und energiegeladenen Musik eroberte sie die Bühnen der Welt. In einer von männerdominierten Branche behauptet sie sich mit Liedern, die von Rebellion, Freiheit und weiblicher Selbstbestimmung erzählen.
Hits wie Bello e impossibile (Schön und unmöglich) oder Meravigliosa creatura (Wunderbares Wesen) machten sie zur Ikone. Sie sprengt Geschlechterklischees in der Musik und beweist, dass eine Frau im Rockbusiness die Regeln nicht nur selbst bestimmen, sondern auch ganz oben mitspielen kann.
Samantha Cristoforetti – Erste Italienerin im All
Samantha Cristoforetti (geb. 1977) ist die erste italienische Astronautin und die erste europäische Frau, die einen Außenbordeinsatz absolviert hat. Sie nahm bereits an mehrere Langzeitmissionen auf der Internationalen Raumstation (ISS) teil. Cristoforetti beeindruckt nicht nur mit ihrem technischen Können, sondern auch mit ihrer Fähigkeit, wissenschaftliche Themen verständlich zu vermitteln.
Als Vorreiterin in einem männerdominierten Bereich inspiriert sie weltweit junge Frauen, Naturwissenschaften und Technik zu studieren. Sie beweist, dass das All längst keine Männerdomäne mehr ist.
Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die genannten Frauen stehen exemplarisch für viele andere, die Italien geprägt haben und prägen. Ihre Geschichten zeigen, wie Frauen trotz Hindernissen Einfluss genommen haben – in der Kunst, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
Canzone – Das Lied zum Beitrag
Als Lied habe ich natürlich eins einer Frau ausgewählt: Meravigliosa creatura von Gianna Nannini.
Welche italienische Frau inspiriert dich? Lass es mich gerne im Kommentar wissen!
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Jürgen Hurst meint
Eine solche Liste ist nicht wirklich abschließend. Vielen Dank. Für mich interessant 🙂
Ich würde dennoch zwei weitere Namen hier einwerfen:
Lidia Poet, Anwältin und erste Frau, die eine Zulassung als Verteidigerin erhielt.
und auch
Giorgia Meloni, erste Regierungschefin.
Ulrike meint
Das stimmt. Als ich den Artikel fertig hatte, sind mir direkt weitere Namen eingefallen. Interessant finde ich in dem Zusammenhang vor allem Frauen in zurückliegenden Jahrhunderten. Die beiden genannten Frauen gehören auf jeden Fall auf die Liste, wobei ich mir mit dem aktuellen Ministerpräsident schwer tue und mich gegen dagegen entschieden habe, sie in die Hall of Fame aufzunehmen …