„Vielfalt, Gleichberechtigung und Teamgeist“ – Ein Gespräch über das Projekt Europe Plural Feminine

Logo des EU-Projekts Europe Plural Feminine

Vor einem Jahr fiel der Startschuss für das EU-Projekt Europe Plural Feminine (EPF). Seitdem sind Francesca Nolli und Sara Angheben von der Italienischen Handelskammer für Deutschland (ITKAM) Teil des europäischen Teams, das sich für mehr Gleichstellung der Geschlechter in Europa stark macht. Zum europäischen Team gehören noch weitere Partner: zwei Organisationen aus Italien sowie eine französische und zwei spanische. Ich habe mit Francesca und Sara über ihre Erfahrungen, Ziele und persönlichen Eindrücke gesprochen – ein Gespräch über Feminismus in Europa, Female Empowerment und die Kraft des Miteinanders.

Vor einem Jahr startete das Projekt Europe Plural Feminine. Wie hat alles angefangen und wie ist es euch bisher damit ergangen?

Sara: Vor einem Jahr war Francesca beim ersten Meeting des Konsortiums dabei. Dort haben die Partner zunächst die Ziele des Projekts und die Vision festgelegt. EPF möchte eine Gemeinschaft aufbauen, die sich aktiv für mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzt. Durch einen offenen Austausch möchte EPF das Bewusstsein für Ungleichheiten schärfen und gemeinsam eine gerechtere Arbeitswelt gestalten – im Einklang mit den Werten der EU.

Francesca: Wir haben schon so vieles erreicht in diesem einen Jahr und jetzt sind wir gespannt auf das, was noch kommt. Deswegen freuen wir uns auch in diesem Interview über Erreichtes und Geplantes zu sprechen.

Wie kam die ITKAM, die italienische Handelskammer für Deutschland, ins Projekt?

Sara: Es gibt Ausschreibungen von der Europäischen Kommission, für die man sich bewerben kann. Der Koordinator – das ist in unserem Fall die Handelskammer von Nord-Sardinien, eine große italienische Unternehmervereinigung – hat einen Projektvorschlag geschrieben und sich dafür passende Partner ausgesucht. Er wollte einen deutschen Partner, aber mit Bezug zu Italien. Und weil wir die italienische Handelskammer in Deutschland vertreten, war das natürlich perfekt.

Wie kamt ihr ins Boot? Wurde intern gefragt: Francesca, Sara, habt ihr Lust mitzumachen?

Francesca: Ja, wir wurden dann seitens des Managements gefragt, ob wir Lust hätten, am Projekt mitzuarbeiten. Vielleicht, weil wir als junge Frauen wichtige Ansichten vertreten und mit neuem Schwung zur Projektumsetzung beitragen.

Sara: Als Kolleginnen arbeiten wir natürlich auch im Rahmen anderer Projekte zusammen und die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Zudem können wir auf eine erste Expertise im EU-Projektmanagement zurückgreifen.

Worum geht es beim Projekt Europe Plural Feminine genau?

Porträt Francesca Nolli, ITKAM Frankfurt, Europe Plural Feminine
Francesca Nolli

Francesca: Europe Plural Feminine oder kurz EPF ist ein sogenanntes CERV-Projekt. CERV steht für „Citizens, Equality, Rights and Values“ und ist ein von der EU finanziertes Projekt. Das Ziel ist, geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt zu verringern und die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu stärken – am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben, im privaten Leben – kurz: überall. Wir wollen die Gesellschaft sensibilisieren, also Unternehmen, Schulen, Gruppen, einzelne Personen. Und das machen wir durch Veranstaltungen in ganz Deutschland.

Sara: Bisher haben wir in Deutschland 9 Veranstaltungen organisiert. Jetzt liegt noch ein Jahr Projektlaufzeit vor uns und wir stecken mitten in der Planung weiterer Events.

Francesca: Am 4. Juni 2025 haben wir zum Beispiel in Berlin Mitte eine Veranstaltung zum Thema „Gleichstellung im Gehalt und soziale Verantwortung“ gemacht. Da haben Expertinnen ihre Expertise in den Bereichen Finanzen, Technologie und Weiterbildung geteilt.

Porträt Sara Angheben, ITKAM Frankfurt, Europe Plural Feminine
Sara Angheben

Sara: Uns ist wichtig, immer auch Menschen einzuladen, die aus ihrer eigenen Erfahrung berichten. Erst kürzlich haben wir in Frankfurt eine Veranstaltung geplant zum Thema Female Leadership gemeinsam mit dem Verein jumpp, der Frauen auf dem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt. Die Referentinnen haben ihre persönlichen sowie beruflichen Erfahrungen geteilt und praxisnahe Anregungen zur Förderung von weiblicher Führung und einer inklusiveren Unternehmenskultur gegeben.

Dabei ging es unter anderem um Fragen wie: Warum ist es für Frauen oft schwieriger, Führungspositionen zu erreichen? Wo liegen die strukturellen Hürden? Und welche Lösungen könnte es geben – zum Beispiel durch EU-Institutionen oder nationale Regierungen?

Wie kam es dazu, die Veranstaltung mit der Deutsch-Italienischen Vereinigung im März 2025 zu machen, bei der wir uns kennengelernt haben?

Francesca: Als bilaterale Organisation hier in Frankfurt haben wir sofort an die Deutsch-Italienische Vereinigung (DIV) gedacht, als wir die Veranstaltung zum Schwerpunkt Kunst und Literatur planten. Die DIV, ITKAM-Mitglied, fördert seit Jahren den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Italien (Anm. d. Red.: seit 1966). Bei der Planung und Kommunikation der Veranstaltung hat uns die DIV viel geholfen: Sie haben Kontakt zu Expertinnen hergestellt und uns bei der Organisation unterstützt. Wir haben uns sehr gefreut, diese Veranstaltung zusammen mit der DIV durchzuführen. Das spricht für die gute Zusammenarbeit der italienischen Institutionen in Deutschland.

Welche Vision steckt hinter dem gesamten Projekt EPF? Wenn das Projekt im März 2026 zu Ende ist, was möchtet ihr dann erreicht haben?

Francesca: Das Ziel des Projekts ist die Sensibilisierung der Gesellschaft. Wir möchten bestimmte Themen in den Fokus rücken und Impulse für Veränderungen geben. Ein wichtiger Bestandteil dieses Projekts ist die Öffentlichkeitsarbeit, und auch dieses Interview hilft uns, unsere Botschaften und Ziele weiter zu streuen.

In unseren Gesprächen haben wir uns oft die Frage gestellt: Warum gibt es so unterschiedliche Sichtweisen auf Geschlechtergleichstellung in Deutschland und Italien?

Besonders im Hinblick auf den Arbeitsplatz sind wir auf Unterschiede gestoßen. In Deutschland bleibt, obwohl bereits Fortschritte erzielt wurden, die Geschlechtergleichstellung noch ein Ziel, das zu erreichen gilt.

Gender Equality Index

Er wird vom European Institute for Gender Equality (EIGE) erstellt und misst den Stand der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in den EU-Mitgliedstaaten.
Er setzt sich aus sechs zentralen Bereichen zusammen:
Arbeit (z. B. Beschäftigungsrate)
Geld (z. B. Einkommens- und Lohnunterschiede)
Wissen (z. B. Bildungszugang)
Zeit (z. B. Verteilung unbezahlter Hausarbeit und Pflege)
Macht (z. B. Frauen in Führungspositionen)
Gesundheit (z. B. Gesundheitszustand und Zugang zur ärztlichen Versorgung)
Skala:
0= völlige Ungleichheit
100 = vollständige Gleichstellung

Laut dem European Institute for Gender Equality (EIGE) hat Deutschland im Jahr 2024 mit einem Wert von 72 den EU-Durchschnitt im Gleichstellungsindex (EU: 71) leicht übertroffen. Dennoch liegt das geschlechtsspezifische Lohngefälle laut Eurostat im Jahr 2023 weiterhin bei 17,6 Prozent. Dieser Index setzt sich aus verschiedenen Bereichen wie Einkommen, Bildung, Zeitverwendung, Macht und Gewalt zusammen.

In Italien hingegen beträgt das Lohngefälle nur 2,2 Prozent (2023). Dieser Widerspruch zeigt, dass es nicht ausreicht, sich nur auf einzelne Indikatoren zu konzentrieren. Stattdessen müssen wir die Gleichstellungsfrage umfassend betrachten, um konkrete Verbesserungen zu erreichen.
Das heißt, die Geschlechtergleichstellung bleibt noch eine der Prioritäten der EU-Kommission. Genau deshalb ist es uns auch wichtig, als ITKAM Teil dieses Projekts zu sein.

Sara: Für mich geht es in diesem Projekt auch darum, konkrete Lösungen und Instrumente zu entwickeln, um Stereotype abzubauen und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu verringern. Also wir möchten durch Diskussionen und Austausch mit den unterschiedlichen Partnern und Expertinnen mögliche Lösungen zur Überwindung von Stereotypen und zur Verringerung der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern aufzeigen.

Am Ende des Projekts hoffe ich, dass wir einen nachhaltigen Beitrag leisten konnten – sei es durch inspirierende Impulse von Rednerinnen oder durch die Diskussionen, die während unserer Veranstaltungen stattfinden. Unser Ziel ist es, Handlungsempfehlungen zu entwickeln, die wir der EU-Kommission und anderen relevanten Institutionen aus Deutschland, Italien und Spanien übermitteln können. Wir möchten, dass dieses Projekt über die Zeit hinaus Wirkung zeigt und tatsächlich Veränderungen anstößt.

Ihr kennt beide Welten. Was sind die Unterschiede zwischen Deutschland und Italien beim Thema Gleichstellung?

Francesca: Gute Frage. Eurostat hat dazu Studien veröffentlicht, aber die Realität ist dann doch etwas anders. Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland Frauen ein bisschen „lauter“ sind, wenn es um ihre Rechte und ihre Rolle in der Gesellschaft geht, während man sich in Italien noch sehr an die Traditionen hält. Es hängt natürlich auch vom jeweiligen Bereich ab. Kunst, Kommunikation, Politik – jede Branche hat ihre eigene Wirklichkeit.

Sara: Unsere Aufgabe ist es, über Unterschiede zu sprechen – nicht um zu werten, sondern um voneinander zu lernen. Italien und Deutschland verfolgen oft ähnliche Ziele, unterscheiden sich aber in der Umsetzung. Nehmen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: In Deutschland gibt es Elterngeld und ein vergleichsweise gutes Betreuungsangebot, das Müttern und Vätern eine frühere Rückkehr in den Beruf ermöglicht. In Italien dagegen sind staatlich geförderte Betreuungsplätze seltener, vor allem auf dem Land, und traditionelle Rollenbilder stärker präsent. Das erschwert Frauen oft die berufliche Integration.

Was ist die Rolle einer Botschafterin?

Sara: Unsere Botschafterinnen und Botschafter sind meistens Organisationen, Institutionen oder auch Unternehmen, die aktiv beim Projekt mitmachen – zum Beispiel als Gastgeberinnen von Veranstaltungen. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte DIV in Frankfurt. Sie war Gastgeberin einer unserer Veranstaltungen und ist jetzt auch Botschafterin des Projekts.

Wir stellen unsere Botschafterinnen auf der Website vor – und wir freuen uns natürlich auch, wenn sie das Projekt ihrerseits bekannt machen. Es ist eine gegenseitige Partnerschaft.

Gab es Reaktionen, die euch besonders gefreut haben?

Francesca: Ja, wir haben sehr positive Reaktionen auf die Veranstaltung bei der DIV erhalten. Es waren auch Vertreterinnen verschiedener anderer Organisationen dabei. Zum Beispiel vom Coordinamento Donne Italiane Di Francoforte. Das hat uns sehr gefreut – und auch, dass weitere Verbände und Organisationen teilgenommen haben.

Du hast eben die DIV erwähnt. Was hat euch bei der Veranstaltung besonders gefallen?

Francesca: Normalerweise dauern diese Veranstaltungen zwei Stunden: Eine Stunde fürs Panel oder den Vortrag und danach noch eine Stunde fürs Netzwerken. Für mich persönlich waren die Beiträge von den zwei Speakerinnen sehr interessant, weil sie echte Expertinnen im Bereich Kunst und Literatur waren. Sie haben es geschafft, das Publikum zur Diskussion zu bewegen. Wir haben auch bemerkt, dass die Gespräche nach der offiziellen Diskussion weitergegangen sind. Beim Netzwerken haben die Gäste weiter über das Thema gesprochen – das war für uns ein sehr schönes Zeichen.

Stichwort Netzwerken – ist das immer ein Teil der Veranstaltung?

Francesca: Ja, das ist ein fester Bestandteil unserer Veranstaltungen, denn durch diese Gespräche entstehen oft Ideen und neue Lösungsansätze. Teilweise sind sie der Beginn  neuer Kooperationen, was uns ganz besonders freut.

Die Diskussionen fungieren als Kick-off. Zum Beispiel haben wir bei der DIV über Literatur, Kunst und Kommunikation gesprochen. Wie erleben Frauen diesen Bereich? Wie ist ihre Erfahrung? Gibt es Stereotype? Wenn wir die Probleme identifizieren können, ist das der erste Schritt, um gemeinsam Verbesserungen zu entwickeln.

Was nehmt ihr aus dem Projekt jetzt schon mit? Wie hat sich eure Sicht auf Europa und den Feminismus verändert?

Francesca: Ich habe durch das Projekt verstanden, dass es noch viel zu tun gibt. Man denkt manchmal, dass alle schon gut informiert sind oder wissen, wie die Situation im eigenen Land ist. Aber das stimmt nicht immer. Deswegen ist die Sensibilisierung weiterhin ein wichtiges Ziel.

Sara: Wenn wir durch dieses Projekt einen kleinen Beitrag leisten können, damit sich an der Situation der Frauen etwas ändert, dann freuen wir uns sehr.

Gibt es eine Frau oder Frauen, die euch besonders inspirieren?

Sara: Ich finde es nicht so einfach, so eine Frage zu beantworten. Ich habe kein Vorbild. Ich finde Rita Levi-Montalcini eine tolle Botschafterin für Italien. Sie hat viel für die Frauenrechte in den Wissenschaften und in der Gesellschaft gekämpft. Deswegen ist sie mir als erste eingefallen.

Francesca: Ich glaube, man braucht nicht unbedingt ein Vorbild. Es gibt viele „normale“ Frauen im Alltag, die Großes leisten – zu Hause, im Beruf, in der Gesellschaft – und die uns etwas lehren können.

Und zum Schluss: Europa in drei Worten? Also wenn ihr Europa als feministisches Projekt neu denken könntet, wie wäre es?

Sara: Vielfalt. Gleichberechtigung. Teamgeist.
Francesca: Wir sind alle unterschiedlich, aber gleich wichtig. Zusammen geht mehr.

Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch und für eure Zeit!

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