Ehrenmänner unter sich

Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra

Ehrenmänner unter sich Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra
In der Vernehmung: Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi) li und Tommaso Buscetta (Pierfranscesco Favino), Foto: Pandora Film

Wo anfangen bei einem Artikel über den Film „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“? Regisseur Marco Bellocchio erzählt die Geschichte nach wahren Begebenheiten und endet mit den Maxiprozessen in den 1980er Jahren. Der Film ist so dicht erzählt, dass es mir tatsächlich schwerfällt zuzuspitzen. Manches wird lediglich angerissen, dennoch gibt es ein großes Ganzes.

Ehrenmänner unter sich

„Traditore“ heißt übersetzt „Verräter“. Doch als Verräter sieht sich „il pentito“ Tommaso Buscetta, der Kronzeuge, (großartig gespielt von Pierfrancesco Favino) nicht. Verräter, das sind für ihn die anderen, die die Ideale der Cosa Nostra verraten haben.

Ich war immer und bin auch jetzt noch ein Ehrenmann. Diese Herren sind es, die die Ideale der Cosa Nostra verraten haben und deshalb halte ich mich nicht für einen Verräter.

Er sieht sich weiterhin auf der „richtigen Seite“, der Seite der Ehrenmänner. Doch vielleicht ist seine Zeit einfach vorbei? Jene Zeit, in der Kindern und Frauen nichts angetan wurde. Wie sauber Buscettas Image als Ehrenmann tatsächlich ist, blitzt in Rückblenden oder in den Verhören mit Richter Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi) auf. Während eines Verhörs konfrontiert einer der Rechtsanwälte ihn mit seinem Lebensstil und seiner Glaubwürdigkeit. Wie viele Morde er letztendlich verübt hat, bleibt allerdings unklar.
Ehrenmänner unter sich Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra
Unter sich, die Familien der Cosa Nostra, Foto: Pandora Film
Ehrenmänner unter sich Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra
Ausgelassene Stimmung beim Fest zu Ehren der heiligen Rosalia, Foto: Pandora Film

Ein Fest zu Ehren der Schutzpatronin

Der Film beginnt opulent mit einem rauschenden Fest – die Cosa-Nostra-Familien kommen zusammen, um die Heilige Rosalia zu feiern, die Schutzpatronin Palermos. Alle sind sie da mit ihren Familien: Stefano Bontade (Goffredo Bruno), Pippo Calò (Fabrizio Ferracane), Totuccio Contorno (Luigi Lo Cascio), Tommaso Buscetta, selbst der Erzfeind Totò Riina (Nicola Calì) und auch der Priester darf nicht fehlen. Dass es nicht so friedlich weitergeht, lässt sich bereits erahnen, als Buscetta seinen drogenabhängigen Sohn am Strand aufliest und zum Gemeinschaftsfoto ins Haus holt. Eine Anzeige, die zu Beginn des Films die Ermordeten aufzeigt, ohne dass diese gezeigt werden, unterstreicht den Eindruck: 55 Stefano Bontade, 85 ein Priester, 100 Salvatore Inzerillo und so weiter.

Boss zwischen zwei Welten

Den zweiten Mafiakrieg vorausahnend siedelt Buscetta schon bald nach dem Fest mit seiner dritten Frau, der Brasilianerin Cristina Buscetta (Maria Fernanda Candido) und den jüngeren Kindern nach Brasilien um. Für Buscetta ist es bereits sein dritter Aufenthalt in diesem Land. Zum ersten Mal emigriert er in den 1950er und erneut in den 1960er Jahren dorthin. In dieser Zeit baut er ein Drogen-Netzwerk auf, das ihm den Titel „Der Boss zwischen zwei Welten“ einbringt. 1972 verhaftet ihn die brasilianische Polizei und schickt ihn zurück nach Italien, wo er bis 1980 im Gefängnis sitzt.

Il Traditore - Tommaso Buscetta in Brasilien
Tommaso Buscetta, gespielt von Pierfrancesco Favino, in Brasilien, Foto: Lia Pasqualino/Pandora Film
Il traditore
Familienidyll in Brasilien, Foto: Pandora Film

Der Film zeigt jedoch auch, was es heißt im Zeugenschutzprogramm zu sein: immer versteckt, mit falscher Identität, Städte wechselnd, hinter allem und jedem einen Auftragsmörder vermutend. Unter neuer Identität lebt Buscetta in den USA. Als er mit seiner Familie in einem Restaurant sitzt, singt ein Musiker Toto Cutugnos Song „L‘Italiano“. Da er allerdings den Refrain von „sono un italiano, un italiano vero“ in „sono un siciliano, un siciliano vero“ abändert, fürchtet Buscetta, dass sein Aufenthaltsort entdeckt wurde und wechselt unverzüglich den Wohnort.

Maxiprozess

Cast

Tommaso Buscetta – Pierfrancesco Favino
Cristina, Tommasos Frau – Maria Fernanda Candido
Pippo Calò – Fabrizio Ferracane
Totuccio Contorno – Luigi Lo Cascio
Giovanni Falcone – Fausto Russo Alesi
Totò Riina – Nicola Calì
Tano Badalamenti – Giovanni Calcagno
Alfonso Giordano – Bruno Cariello
Andreottis Anwalt – Alberto Storti
Luciano Liggio – Vincenzo Pirrotta
Stefano Bontate – Goffredo Bruno
Benedetto, Tommasos Sohn – Gabriele Cicirello
Antonio, Tommasos Sohn – Paride Cicirello
TV Journalist – Elia Schilton
Giuseppe „Scarpuzzedda“ Greco – Alessio Praticò
Cesare Pier – Giorgio Bellocchio

Als Buscetta Ende 1983 in seinem brasilianischen Exil festgenommen und nach Italien ausgeliefert wird, kann Falcone ihn als Kronzeugen gewinnen. Er erhält als erster Richter überhaupt Einblicke in die Mafiastrukturen und der Maxiprozess mit 475 Angeklagten beginnt.

Da Palermos Strafgerichtssaal für ein Verfahren dieser Größe nicht groß genug ist, wird ein neues Gerichtsgebäude – der Bunker – gebaut. Die Angeklagten verfolgen aus Käfigen den Prozess und mischen sich lautstark ein. Wilde Szenen spielen sich ab, um den Prozess zu stören: Einer näht sich den Mund zu, der andere täuscht einen epileptischen Anfall vor, der Dritte provoziert, indem er trotz Rauchverbots vorgibt, eine Zigarre aus gesundheitlichen Gründen rauchen zu müssen. Als die Urteile fallen – verurteilt werden 344 der 475 Angeklagten zu mehreren lebenslangen Haftstrafen – intoniert der Gefangenenchor aus Verdis Oper Nabucco „Va pensiero, sull’ali dorati – Flieg Gedanke auf goldenen Flügeln“.

Pikante, bizarre Momente

Die Verhöre erlauben immer wieder Rückblenden zu Buscettas Leben. Pikante, bizarre Momente, wenn etwa Buscetta in einem seiner Gefängnissaufenthalte nach einer Prostituierten fragt und sie auch bekommt. Als er sich bereit erklärt als Kronzeuge aufzutreten, wird er in der Haft sehr zuvorkommend behandelt: „Don Masino soll ich Ihnen den Fernseher anstellen? Was möchten Sie essen?“

Zum Kronzeugen wird er, weil seine Frau auf ihn einwirkt. Gleichzeitig sieht er sich mit der zunehmenden Macht der Corleonesi konfrontiert, an deren Spitze der brutale Totò Riina steht. Die Mitglieder dieser neuen Gruppierung missachten die grundlegenden Prinzipien der Cosa Nostra und kennen keine Gnade: Sie töten Frauen und Kinder und eliminieren alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Auch seine zwei ältesten Söhne sowie zehn weitere Verwandte Buscettas werden in Riinas Auftrag ermordet.

Der Schlag war so hart für mich, dass ich seitdem nicht mehr in der Lage bin, zu lachen oder glücklich zu sein. Der Bastard, diese Hyäne (Riina), hat mir nicht einmal die Möglichkeit gelassen, ihre Körper zu begraben. Er muss sie verbrannt oder in Säure aufgelöst haben.

Die spätere Ermordung Falcones feiern die Mafiosi jubelnd und stoßen auf seinen Tod an.

Eine Choreografie der Emotionen

Die Szenen wechseln zwischen Opulenz, schwarzem Humor, bizarren Situationen und dem Familienidyll in Brasilien. Aber auch grausame Szenen bleiben nicht aus. Ein in jeglicher Hinsicht mitreißender Film, der für ein ständiges Auf und Ab der Emotionen sorgt.

Die OMU-Version lebt von der palermitanischen Sprache. Es ist durchaus amüsant, wenn Contorno in breitestem Palermitanisch vor Gericht spricht, weil er des Italienischen nicht mächtig ist. Der palermitanische Schauspieler Luigi Lo Cascio, der den Contorno spielt, hat den Zungenschlag perfekt drauf, was gar nicht so leicht ist, wie er in einem Interview mit Radio Colonia (Sendung vom 18. August 2020) sagte. Selbst Sizilianer, ja sogar Palermitaner außerhalb der Mauern Palermos, dem historischen Zentrum, hätten Mühe, richtig zu akzentuieren. Die Originalversion ist für den Gesamteindruck bereichernd – und nicht alle sprechen diesen breiten Dialekt. Contorno ist da eine Ausnahme. Buscetta hingegen wechselt mühelos vom Palermitanischen zum Portugiesischen, Italienischen und Englischen.

Zu Beginn eines Verhörs sagt Buscetta:

Da bleibt nur eine entscheidende Frage: Wer von uns stirbt früher? Sie oder ich? Ich möchte in meinem Bett sterben.

In der Rückschau wissen wir, dass es der Richter Giovanni Falcone ist, der früher stirbt. Am 23. Mai 1992 wird er von der Cosa Nostra ermordet, zusammen mit seiner Frau und seinen Leibwächtern. Totò Riina gilt als der Auftraggeber. Tommaso Buscetta hingegen stirbt 2000 zuhause im Alter von 72 Jahren in Florida an Krebs.

Dreiteilige Doku als Ergänzung

Als Ergänzung zu diesem Film empfehle ich die dreiteilige Dokumentation „Italiens Mafia“ in der ZDF-Mediathek. Im ersten Teil „Paten vor Gericht“ geht es um die Maxiprozesse.

Wer nun neugierig geworden ist, für diejenigen habe ich hier den Trailer zu „Il Traditore”

 

*Unbezahlte Werbung aus Begeisterung für den Film

Leser-Interaktionen

Kommentare

  1. Tanja meint

    Hallo,
    was für ein treffender Beitrag über diesen wunderbaren Film! Ohne zu viel vorwegzunehmen hat mich das Lesen sehr gut auf den Filmgenuss vorbereitet.

    Dass der Film auf wahren Gegebenheiten beruht, ist faszinierend und beunruhigend zugleich. Man hofft, dass einige Details nur aus dramaturgischen Details gezeigt werden. Oder hatte sich wirklich einer der Angeklagten den Mund zugenäht?

    Die sprachlichen Feinheiten gehen in der deutschen Version leider verloren.

    • Ulrike meint

      Liebe Tanja,

      freut mich, dass Sie der Beitrag auf den Film gut vorbereitet hat.
      Wie viele Details aus dramaturgischen Gründen gewählt wurden, mag ich nicht zu sagen. In der ZDF-Doku kommt allerdings auch eine Person vor, die sich Nägel durch die Lippen gezogen hat.
      Ich habe mir den Film gemeinsam mit einer Italienerin angesehen. Da sie sich nicht erschüttert über manche Szenen gezeigt hat (im Sinne von kann gar nicht sein), gehe ich davon aus, dass der Film schon sehr nah an der Realität ist.

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